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Noch heute erlernen Volksschulkinder die Kulturtechnik "Schreiben" in drei Schritten: Zuerst Blockbuchstaben, dann Druckschrift und anschließend Schreibschrift. Die Lehrer sollen sich dabei an der "Österreichischen Schulschrift" orientieren, die 1969 eingeführt und 1995 reformiert wurde.

In Deutschland war das ähnlich - bis jetzt: Ab dem nächsten Schuljahr ist das Erlernen der Schreibschrift an Hamburger Schulen nicht mehr verbindlich. Auch in anderen Bundesländern wird experimentiert, es wird erwartet, dass einige Hamburgs Vorbild folgen und auf die Schreibschrift verzichten.

Heftige Debatte entbrannt

In Deutschland ist eine heftige Debatte entbrannt. "Zeit" und "Spiegel" widmen dem Thema mehrere Seiten, Experten aller Art kommen zu Wort. Konsens herrscht darüber, dass die Bewegungsabläufe beim Schreiben korrekt erlernt werden müssen. Ob dazu die komplizierte Schreibschrift notwendig ist, scheint unklar.

Elisabeth Charkow, Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Schriftpsychologie, meint auf derStandard.at-Anfrage, dass das Erlernen der Schreibschrift eine wichtige Auseinandersetzung mit der Schreibhandlung an sich darstelle. Sie sagt, dass sich Schüler flüssiges Schreiben durch die Buchstabenverbindungen der Schreibschrift schneller und besser aneignen.

Eine Frage der Identität?

Charkow denkt, dass der Verzicht auf Schreibschrift keine psychologischen Defizite mit sich bringe - ein Argument, das in Deutschland von Gegnern der Abschaffung immer wieder genannt wird. So solle das Erlernen der Schreibschrift das Selbstbild und die eigene Haltung verändern, da dafür Fleiß und Beharrlichkeit erforderlich sei.  Ebenso werde die Ästhetik geschult.

Proponenten der Abschaffung argumentieren vor allem mit dem geringer werdenden Einsatz von Schreibschrift im Alltag. Hans Brügelmann, Professor für Grundschulpädagogik, plädiert im deutschen "Spiegel" sogar dafür, den Kindern lieber das flüssige Tippen auf Tastaturen beizubringen - die Schreibschrift sieht er im Kunstunterricht besser aufgehoben.

"Letztlich ein Abwägen von Gütern"

Bildungshistoriker Stefan Hopmann von der Universität Wien meint, dass es sich bei dieser Debatte schlussendlich um ein "Abwägen von Gütern" handle. Es gehe um konkurriende Normen, die Diskussion gäbe es im Grunde schon seit Jahrzehnten.

"Die Forschung kann hier schlecht entscheiden", meint Hopmann, der den Diskurs um Schreibschrift aber ohnehin für ein Luxusproblem handelt. Viel wichtiger sei eine bessere Frühförderung für benachteiligte Volksschulkinder.

"Lesen und Schreiben wird zur bloßen Technik, nicht mehr Kultur"

Werner Wintersteiner vom österreichischen Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik spricht sich klar gegen eine Abschaffung aus. Für ihn ist dies eine sehr "kurzsichtige" Maßnahme, die schlussendlich zu einer noch größeren Abhängigkeit des Menschen von Maschinen führe. "Die Abschaffung der Schreibschrift ist nur konsequent, wenn man die technokratische Art und Weise, wie wir ans Lesen und Schreiben herangehen, betrachtet."

Auch Martina Sueess von Institut für Germanistik der Universität Wien meint, dass die Schreibtechnik wichtig für den Gedankenfluss sei, und daher eine schnelle Art, handschriftlich zu schreiben, beibehalten werden müsse. Sie bezeichnet den Gedanken hinter der Abschaffung "beängstigend".

Unterrichtsministerium: Debatte nicht angekommen

Das Unterrichtsministerium ist von der in Deutschland stattfindenden Debatte überrascht. Das Thema werde in Österreich "nicht einmal in bildungspolitischen Zirkeln diskutiert", es gäbe definitiv keine Überlegungen für eine Reform. Hier verweist man auf die letzte Reform vor 16 Jahren, durch welche die "neue Schulschrift" eingeführt würde.

Werner Amon, Bildungssprecher der ÖVP, ist der Meinung, dass man die Schreibschrift auch in Zukunft brauchen wird, gerade für den täglichen Ablauf in der Arbeitswelt. Sie sei wichtig, um sich Notizen machen zu können oder aber auch um persönliche Briefe zu schreiben. „Die Zukunft ist ungewiss", sagt Amon in Bezug auf den technologischen Fortschritt, wenngleich er nicht glaubt, dass das Schreiben einmal überflüssig sein werde. Bei der Einführung von EDV-Systemen habe man auch geglaubt, dass man weniger Papier brauchen werde, so Amon, das Gegenteil sei nun aber der Fall.

Auch Elmar Mayer (SPÖ) plädiert gegen eine Abschaffung. "Der Erwerb der Schreibschrift ist sinnvoll", sagt er, die SPÖ würde eher in Richtung Beibehaltung votieren.

Österreichische Politik unisono gegen Abschaffung

Grünen-Bildungssprecher Walser sagt zu einer möglichen Abschaffung "klar nein". Für ihn brauche man die Schreibschrift aus vielen Gründen, er verweist darauf, dass Österreich im Gegensatz zu Deutschland eine einheitliche Schreibschrift habe. Außerdem befürchte er, dass eine Rücknahme solch einer Reform unmöglich sei: "Wenn man aufhört, die Schreibschrift zu lehren, dann ist es vorbei. Dann kann man sie nicht wieder einführen."

Das BZÖ spricht sich „absolut" gegen die Abschaffung der Schreibschrift aus. „Das wäre eine weitere Verabschiedung von einer Grundkulturtechnik", meint Bildungssprecherin Ursula Haubner und fügt hinzu: „Man hat ja auch das Kopfrechnen nicht abgeschafft, weil es Taschenrechner gibt."

Auch FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz winkt ab. Österreichische Schulkinder seien keine "Versuchskaninchen", mit denen "experimentiert" werden dürfe. Generell sei das häufige völlig theorielose Experimentieren mit "linken pädagogischen Konzepten" eine der Hauptursachen für den Verfall des Bildungssystems. Mit diesem Vorschlag sei das Bundesland Hamburg, das auch für sein schlechtes Schulsystem bekannt sei, erneut Vorreiter in die falsche Richtung. Rosenkranz: "Unter Beteiligung der FPÖ wird ein solches Sägen an den Kulturtechniken sicher nicht stattfinden." (Fabian Schmid, derStandard.at, 8.7.2011)