Gesellschaftspolitik an der Bettkante: Vesper (August Diehl, li.), Baader (Alexander Fehling) und Ensslin (Lena Lauzemis) in "Wer wenn nicht wir" von Andres Veiel.

Foto: Thimfilm

Wien - Zwei junge Menschen begegnen einander an der Uni. Ihre Leben sind noch geprägt von einer gewissen gesellschaftlichen Enge in der BRD Anfang der 1960er-Jahre. Zugleich erwächst gerade daraus ein dringlicher Wunsch nach Veränderung, welchen die beiden zunächst in einem gemeinsamen Verlagsprojekt umsetzen.

Er ist das einzige Kind eines alten Nazis, dessen Anerkennung er sucht. Sie die streitbare Tochter eines liberalen Pastorenpaares, die ihrem Vater leidenschaftlich vorhält, dass er als Wehrmachtssoldat in den Krieg gezogen ist. Er ist großspurig, aber nicht nur in Beziehungsdingen wankelmütig. Sie furchtlos und mit einem gewissen Hang zur Selbstverletzung. Er sucht den Kompromiss, sie die Konfrontation: Zwei Persönlichkeitsprofile, die deshalb bedeutsam (gemacht) werden, weil es sich bei den Protagonisten um inzwischen historische Figuren handelt.

Schrift- und Tatmensch

Wer wenn nicht wir ist die jüngste Fiktionalisierung bundesdeutscher Geschichte um die Rote Armee Fraktion. Der Mann ist Bernward Vesper, Sohn des nationalsozialistischen Schriftstellers Will Vesper, Verleger und Autor, der sich im Mai 1971 das Leben genommen hat. Die Frau ist die Germanistin und RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, gestorben 1977 in Stuttgart-Stammheim. Der Film versucht an deren Beispiel ein gesellschaftliches Klima und einen Typus herzustellen. Aber er kommt dabei über handelsübliche Erklärungsmuster leider nicht wirklich hinaus.

Anhand der Geschichte der Kinospielfilme, die sich mit der RAF beschäftigen, kann man auch einen Wandel der Stile und Zugänge ablesen (und konstatieren, dass dem Fernsehen, etwa mit Edgar Reitz' Die Zweite Heimat die interessanteren Bearbeitungen gelungen sind). Die große Tendenz geht einerseits von der betonten Ernsthaftigkeit der Autorenfilme der späten 1970er- und frühen 80er-Jahre in Richtung Entertainment und Mainstreamkompatibilität (siehe Baader-Meinhof-Komplex ).

Andererseits rückt zunehmend ein Reenactment, die mimetische Anverwandlung der Protagonisten in den Vordergrund - und eine Lesart, die die bekannten historischen Ergebnisse aus den individuellen Lebensgeschichten herleiten will. Ein fragwürdiger Umkehrschluss, der auch in Wer wenn nicht wir mitunter unfreiwillige Komik erzeugt.

Im Verlauf der Erzählung tauchen außerdem immer wieder kurze Montagesequenzen mit zeitgeschichtlichem Archivmaterial auf, die für den leichteren Konsum mit knackiger Musik unterlegt sind (ein treibendes Keep on running zum JFK-Besuch in West-Berlin, Summer in The City zum Schah-Besuch und Schlimmeres).

Das ist nicht die einzige Strategie Veiels, die in Richtung Trivialisierung zielt. Wie fasste Moderatorin Barbara Schöneberger bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises Wer wenn nicht wir so schön zusammen: "Junge Menschen mit seltsamen Frisuren haben viel Sex und werden Terroristen." (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 12. April 2011)