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Foto: Harald Schaffner

"„Don Don", "Nimm, Nimm" fordert mich Tashi auf und stellt mir eine Schüssel Tsampa und eine Schale Buttertee hin. Tsampa (Tibetisches Grundnahrungsmittel aus Getreide, Anm. d. Red.), geröstete Gerste und Buttertee, Schwarztee mit Salz und jeder Menge Yakbutter sind die wichtigste Lebensgrundlage der Menschen in Ladakh. Zu Gast bei einheimischen Familien bekomme ich das oft mehrer Tage hindurch zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Nachtmahl. Ich befinde mich in Zangla, einem abgelegenen Dorf in Zanskar im Südwesten von Ladakh im Haus von Tashi. Ich hatte Tashi als Pferdeführer für eine Trekkingtour angeheuert und wurde von ihm eingeladen, im Anschluss an die Tour einige Tage bei ihm zu Hause mit ihm und seiner Familie zu verbringen.

Tradition und Moderne

Bei Tashi im Dorf angekommen, werde ich seiner Familie und seinen Nachbarn vorgestellt. Wir gehen von Haus zu Haus, überall werde ich herein gebeten und bekomme natürlich Buttertee serviert. Wie in allen traditionellen Gesellschaften haben die Familie und die Dorfgemeinschaft einen enorm hohen Stellenwert. Die Leute wissen, sie können die harte, körperliche Arbeit auf den Feldern nur bewältigen, wenn sie zusammen helfen. Auch als Fremder habe ich das Gefühl mich jederzeit auf die Hilfsbereitschaft und die Gastfreundschaft der Einheimischen verlassen zu können und fühle mich dadurch sehr geborgen.

Immer mehr junge Leute in Ladakh geben aber das traditionelle Leben in den Dörfern auf und ziehen nach Leh, der Hauptstadt von Ladakh, um dort ein modernes Leben nach westlichem Vorbild zu führen. Für sie ist es unvorstellbar, wie viel Geld wir im Westen haben. Wir haben Maschinen, die uns die Feldarbeit abnehmen und brauchen dadurch eigentlich nicht zu arbeiten. Die eigene Kultur erscheint demgegenüber oft rückständig. Manchmal genieren sie sich sogar für ihr traditionelles Leben. Vor allem in den besser erschlossenen Gebieten rund um Leh hält daher auch immer mehr die westliche Einheitskultur Einzug. Natürlich ist Kultur etwas Lebendiges und Wandel ist nicht grundsätzlich schlecht. Mich macht es aber betroffen, wenn einfach alles, was aus dem Westen kommt, unreflektiert übernommen wird, ohne sich bewusst zu machen, dass das Leben im Westen auch erhebliche Nachteile mit sich bringt. Wir haben zwar Autos und Handys, aber kennen oft nicht einmal die Namen unserer Nachbarn.

Trekkingabenteur während der Flutkatastrophe

Nach einigen Tagen bei Tashi und seiner Familie, in denen ich viel darüber gelernt habe, was im Leben wirklich wichtig ist, mache ich mich auf die Suche nach ortskundigen Trägern für meine nächste Trekkingtour. Es soll auf einer sehr anspruchsvollen, kaum begangenen Route von Zanskar über einen vergletscherten Pass nach Lahaul gehen. Normalerweise regnet es in Ladakh kaum. In diesem Jahr kam der Monsun aber über den Himalyahauptkamm nach Ladakh. Auf unserer Tour regnet es wiederholt in Strömen und es ist ungemütlich kalt. Ich ahne zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts von der großen Flutkatastrophe, zu der es dadurch in Pakistan und Ladakh gekommen ist, von den Murenabgängen in vielen Teilen Ladakhs und der Springflut in Leh mit 400 Toten.

Die Flüsse, die wir auf unserer Tour überqueren müssen, führen alle Hochwasser. Das Wasser geht uns bis zu den Hüften und immer besteht die Gefahr mitgerissen zu werden. Kurz vor Erreichen der ersten Ortschaft gibt es allerdings keine Möglichkeit mehr einigermaßen sicher über den Fluss zu kommen. Wir wissen auch nicht, ob es noch retour geht. Vermutlich sind die Flüsse in die andere Richtung inzwischen auch nicht mehr passierbar. Wir sitzen fest. Und unsere mitgetragenen Essensvorräte gehen zu Neige. Ratlosigkeit mache sich breit. Was nun? Aber kein Grund zur Sorge. In Ladakh findet man immer jemanden, der einem weiterhilft.

Notlösung Hirn

Gaddhihirten, halbnomadische Schafs und Ziegenhirten, die den Sommer über mit ihren Tieren auf den Hochweiden unterhalb des Gletschers leben, geben uns zu essen. Als wir sie in ihrer Steinbehausung aufsuchen, sind sie gerade dabei eine geschlachtete Ziege zu zerlegen und wir bekommen das Hirn. Es schmeckt so grauslich. Aber in dieser Situation kann ich es mir natürlich nicht leisten heikel zu sein. Nach einigen Tagen bessert sich das Wetter. Der Wasserstand des Flusses geht etwas zurück und die Hirten meinen, es sollte nun möglich sein, den Fluss zu überqueren. Als ich die Stelle sehe, die sie uns zeigen,habe ic so meine Zweifel. Aber irgendwie schaffen wir es mit ihrer Hilfe dann doch.

In der ersten Ortschaft in dem Tal angekommen - eigentlich sind es nur drei Häuser am Ende der Straße - werden wir von einem Bauern mit seinem Traktor in den 30 Kilometer entfernten Hauptort mitgenommen. Von dort wollen wir eigentlich mit dem Bus wieder zurück nach Leh fahren. Als wir dem Bauern das erzählten, schaute er uns aber erstaunt an: "Das geht nicht. Wisst ihr denn nicht, was passiert ist?" So erfahren wir von der Flutkatastrophe in Leh. Die Straße nach Leh ist an mehreren Stellen unterbrochen und es gibt keine zuverlässigen Informationen über die Versorgungssituation und die hygienische Situation in Leh.

Es dauert noch über ein Monat bis ich wieder zurück komme. Ich unternehme in der Zwischenzeit mehrere Trekking- und Bergtouren in der Changtang Hochebene im Osten von Ladakh unmittelbar an der tibetischen Grenze und kann von dort dann über eine Umfahrungsstraße zurück nach Leh fahren. Einige Vororte sind völlig verwüstet. Das touristische Zentrum ist aber weitgehend intakt und mein Guesthouse, in dem ich einen Teil meiner Ausrüstung gelagert habe, steht noch. Fast alle Hotels, Restaurants und Souvenirgeschäfte haben bereits geschlossen, da kaum mehr Touristen in der Stadt sind. Ich finde aber ein Cafe, das noch den letzten Tag offen hat. Dort gib es einen Schokoladekuchen und nachdem ich auf meinen Trekkingtouren ein Monat von Buttertee und Tsampa gelebt habe, ist das der beste Schokoladekuchen der Welt.