Sie wird derzeit in Japan verteilt, wird aber weltweit gerne im Umkreis von Atomkraftwerken in Umlauf gebracht. 2009 verteilte beispielsweise der französische Energieriese EdF sogenannte Jodtabletten an insgesamt 400.000 Haushalte. 2004 wurde gemeldet, dass in Deutschland insgesamt 137 Millionen "Jodtabletten" angeschafft werden sollten, um sieben Zentrallager für den Notfall aufbauen zu können. In der Schweiz werden die Tabletten bei Atomkraftwerken im Umkreis von 20 Kilometern an die Bevölkerung verteilt. Auch in Österreich werden "Jodtabletten" mit einem Wirkstoffgehalt von 65 mg für Kinder und Jugendliche bevorratet.

Und als 2001 in Russland Gerüchte über einen Unfall in einem AKW 1000 Kilometer südlich von Moskau kursierten, deckte sich die Bevölkerung gleich selbst ein: Mit "Jodtabletten" - und Wodka. Diese Kombination ist gar nicht so abwegig - schließlich kann der Wodka helfen, zu vergessen, wie die "Jodtabletten" wirken - und wogegen sie nichts ausrichten können.

Genau genommen handelt es sich bei diesen "Jodtabletten" um Kalium-iodid. Und das hat nur eine einzige Funktion: Prophylaktisch eingenommen, schützt es nach einem Atomunfall die Schilddrüse vor der Aufnahme von radioaktivem Iod. Wird Kaliumiodid rechtzeitig eingenommen, lagert es sich in der Schilddrüse ab - und verhindert so eine weitere Aufnahme, wenn das verstrahlte Radioiod in den Organismus gelangt.

Alle anderen Organe, vor allem aber auch das Erbgut, wären einer Verstrahlung weiter ungehindert ausgesetzt - sofern man sich nicht in einen Schutzraum flüchten kann. Auch die Schilddrüse selbst wäre vor anderen verstrahlten Substanzen oder direkt einwirkender Strahlung keineswegs geschützt.

So gesehen ist die Wirkung durch die Ausgabe von Kaliumiodid-Tabletten vermutlich vor allem eine psychologische: Im Fall des Falles, wenn's ganz schlimm daher kommt, gibt es eh eine Pille, die man einnehmen kann. Strahlenkrankheit? Auch dafür haben wir eine Tablette, wird suggeriert.

Die ältere Bevölkerung kann übrigens bei einem atomaren Notfall auch das Thema Schilddrüse gleich einmal abhaken: Denn für die Gruppe der über 45- bis 50-Jährigen ist die Einnahme von Kaliumiodidtabletten in der Regel nicht vorgesehen. Denn bei den älteren Semestern könnte es passieren, dass eine Schilddrüsenüberfunktion ausgelöst wird. Ursache ist die höhere Iod-Empfindlichkeit dieser Altersgruppe - die vor Einführung der Speisesalziodierung im Jahre 1963 aufgewachsen ist.  (Roman David-Freihsl, DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2011)