"Ich sage nicht, dass wir aufhören müssen, Tiere zu nutzen. Worum es mir geht, ist, dass wir aufhören, sie in dieser industrialisierten Form zu quälen und auszubeuten."

Foto: Christian Fischer

"Der Mensch will nicht mit seiner Schwäche konfrontiert werden. Glauben Sie mir - ich weiß das aus Erfahrung. Und klar ist es so, dass vegane Ernährung aus ethischer Sicht besser ist als vegetarische."

Foto: Christian Fischer

Duve und Foer sind sich einig: "Die Menschen haben Angst, schwach oder scheinheilig zu wirken. Das ist oft der wahre Grund, warum sie, statt zu versuchen, das Richtige zu tun, gleich den Weg des geringsten Widerstands einschlagen."

Foto: Christian Fischer

Karen Duve und Jonathan Safran Foer haben ein Problem mit Massentierhaltung. Ein Interview über innere Schwächen und den eigenen Hund.

Standard: Sie haben beide Bücher geschrieben, die viele Menschen dazu gebracht haben, selbst Vegetarier zu werden. War das der gewünschte Effekt?

Foer: Ich würde mir wünschen, dass mein Buch viele verschiedene Reaktionen nach sich zieht. Dass manche Leser sich davon zum Vegetarismus bekehren lassen, ist natürlich eine davon. Die Menschen bewegen sich nicht alle mit derselben Energie und Geschwindigkeit, aber es ist toll, dass jetzt zumindest einmal Bewegung reinkommt. Wenn es Leser gibt, die nun weniger Fleisch konsumieren und darauf achten, aus was für einer Aufzucht es stammt, dann ist das ebenso wichtig. Da tut sich wirklich viel im Moment, Karens Buch ist ein kleiner Teil davon, meines ebenso, was Umweltschützer beitragen genauso. Wenn das als Fingerzeig gedeutet wird, der einen Weg abseits des Fleischkonsums aufzeigt, dann ist uns viel gelungen.

Duve: Klar wäre ich glücklich, wenn es so wäre - einstweilen kann ich aber nur über den Effekt sprechen, den mein Versuch auf meine Umgebung hatte. Das war schon sehr spannend. Die einen haben zumindest teilweise mitgezogen und ihre Ernährung auf bio umgestellt, eine andere hat ihre neu gekaufte Jacke aus Kojotenfell tatsächlich in den Laden _zurückgebracht und in etwas Unverdächtiges umgetauscht.

Standard: Prangern Sie den Verzehr von Fleisch an sich an oder die Umstände, unter denen die Fleischproduktion heute stattfindet?

Foer: Heute kann doch das eine ohne das andere gar nicht mehr existieren. Vielleicht gibt es manche Höfe, auf denen nachhaltig produziert wird. Aber eine Welt, die Fleisch isst und nicht auf industrielle Produktionsmethoden zurückgreift - das kann es nicht geben. Wenn Sie Fleisch konsumieren, das von einem kleinen, familiär geführten Hof stammt, ist das ungleich besser, als sich Industriefleisch von der Supermarkttheke zu holen. Aber Sie dürfen sich nicht einbilden, dass Sie dann nicht mehr Teil des Problems wären.

Duve: Ich mach da schon einen Unterschied. Ich kann mir inzwischen gar nicht mehr vorstellen, dass es Leute gibt, die Fleisch aus Massentierhaltung wirklich und aktiv wollen - da gibt es doch eine Art unterste Schamgrenze. Es ist doch allgemein bekannt, dass es kein Huhn um 2,99 Euro das Kilo geben kann, das unter akzeptablen Umständen leben durfte. Da wird beim Einkaufen das Hirn an der entscheidenden Stelle einfach ausgeschaltet. Fleisch aus Bio-Haltung stehe ich grundsätzlich positiver gegenüber, wenn es auch da inzwischen einen echten Trend hin zur Massenhaltung gibt.

Standard: Wird die Bio-Landwirtschaft zum Opfer ihres eigenen Erfolgs?

Duve: Ja, absolut, in vielen Fällen sind die Unterschiede nur noch in Details merkbar. Bio-Betriebe, die sich mit den großen Handelsketten einlassen, sind einem Preisdruck ausgesetzt, unter dem sie ihre Standards ja automatisch herabsetzen müssen. Ich hatte ursprünglich vor, nach meinem Versuch sehr wohl weiter Fleisch zu essen, weniger zwar und nur noch solches aus Bio-Haltung. Aber nach dem, was ich inzwischen erkannt habe, geht das nicht mehr - zumindest einstweilen. (lacht) Und ich hoffe, dass es auch noch eine Weile so bleibt.

Standard: Kann man die Entwicklung der Massentierhaltung in den vergangenen Jahrzehnten als Symptom verstehen - für die Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt und der Natur als solcher?

Foer: Sicher ist das so. Die Distanz zwischen Mensch und Tier wird immer größer, einerseits durch das Wachstum der Städte, anderseits aber auch, weil die Lebensbedingungen von Schlachttieren immer besser vor den Augen der Welt verborgen werden. Aber in Wahrheit wurden Nutztiere doch über den gesamten Lauf der Geschichte schlecht behandelt. Und genauso lang gibt es auch ein Unwohlsein darüber, was wir den Tieren antun. Jede Kultur versucht auf ihre Art, damit umzugehen - komplettes Laisser-faire im Umgang mit Nutztieren gab es nie. Immer wird ein strenges Re_gelwerk etabliert, werden Tabus aufgestellt und so weiter. Offenbar oszillieren wir zwischen diesen beiden Polen: Einerseits sind wir uns der moralischen Tragweite des Fleischgenusses sehr wohl bewusst, anderseits beruhigen wir uns mit der Gewissheit, eben Menschen und nicht Tiere zu sein, weshalb wir glauben, ein Recht auf diese Art des Umgangs mit Schlachttieren ableiten zu können.

Standard: Aber Karen Duve vertritt doch den Standpunkt, dass wir sehr wohl Tiere sind?

Foer: Ja, klar sind wir Tiere! Das ganze Problem lässt sich wohl auf diesen Kern reduzieren: Wir sind Tiere, aber irgendwie eben auch nicht. Wenn wir nur Tiere wären, bräuchten wir uns um die moralische Dimension unseres Tuns ja keine Gedanken machen - und das will ja wohl niemand infrage stellen.

Duve: Exakt. Eben weil wir unser Tun reflektieren können, stellt sich die Frage überhaupt. Aber um auf die Gefahr der Entfremdung zurückzukommen: Die industrielle Massentierhaltung hat die Grausamkeit an Tieren ja nicht gepachtet. Auch auf kleinen Höfen werden Ferkel ohne Betäubung kastriert, ihre Ringelschwänze mittels Heißschneidegerät abgeschnitten und so weiter. Diese Grausamkeit an Nutztieren ist seit Jahrhunderten institutionalisiert, sodass da auch Dinge passieren dürfen, die an sich jedem moralischen Bewusstsein widersprechen. Anderseits, und da geht es dann sehr wohl um Entfremdung, anderseits hat der Mensch zu seinen Haustieren eine ganz andere Beziehung aufgebaut, die es ihm verbietet, sie derart unwürdig zu behandeln - die sieht er dann als Freund, als zweitrangiges Familienmitglied, als extrem wertvolles Wesen, für das unter Umständen auch extrem hohe Ausgaben in Sachen Fütterung, Gesundheit, Operationen etc. gerechtfertigt scheinen.

Standard: Aber wo trennt sich dann der Weg? Wie kann derselbe Mensch einerseits ein Ferkel ohne Betäubung kastrieren und anderseits seinem krebskranken Hund teuerste Operationen zahlen?

Duve: Ich hab da lang drüber nachgedacht und glaube, es geht um die schlussendliche Bestimmung, die wir einem Tier zugedacht haben: Wenn es lebt, um irgendwann als unser Schnitzel zu enden - also um für uns zu sterben -, dann scheint dieser Umstand auch alle anderen Grausamkeiten auf dem Weg dorthin zu legitimieren. Menschen, die Tiere als Gefährten halten, haben hingegen ein völlig anderes Verständnis dafür entwickelt, wie man mit Tieren umgehen muss.
Standard: Aber könnte dieser vermenschlichende Blick auf Tiere nicht auch ein Effekt der Entfremdung von der Natur sein?

Duve: Absolut. Seltsamerweise hat ja die überwältigende Mehrheit der Haustierbesitzer dennoch die Überzeugung, Fleischkonsum sei legitim. Diese Diskrepanz ist nur möglich, weil Schlachttierhaltung eben im Verborgenen geschieht. Denn einen gesellschaftlichen Konsens, dass Tiere so behandelt werden dürfen, den würde es heute nicht geben. Insofern ist Mitleid mit Schlachttieren eine Folge der Entfremdung. Es ist schon paradox: Die Entfremdung ist sowohl die Ursache dafür, dass es den Tieren immer schlechter geht, als auch, dass die industrielle Fleischproduktion immer mehr Leuten als unakzeptabel erscheint.

Standard: Herr Foer, Sie sagen, die Geschichte der Nutztierhaltung sei essenziell eine der Grausamkeit diesen Tieren gegenüber - aber gibt es nicht auch so etwas wie einen Pakt zwischen dem Menschen und seinen Nutztieren? Immerhin ist die Geschichte der Menschwerdung ja ziemlich zentral auch eine der Nutztierhaltung.

Foer: Ja klar. Nutztierhaltung ist in etwa so alt wie die Sklaverei. Oder die Behandlung von Frauen als Bürger zweiter Klasse. Wir haben in unserer Geschichte vieles getan, was uns heute unvorstellbar grausam erscheint. Was Sklaverei und Frauenrechte betrifft, hat sich unser Bewusstsein erst vor relativ sehr kurzer Zeit geändert - und ist noch keineswegs abgeschlossen. Bei den Tieren sind wir auf dem Weg.

Standard: Bedeutet das, dass Nutztierhaltung in jedem Fall Unrecht ist? Wie sieht es mit Gegenden aus, wo keine andere Form der Landwirtschaft möglich ist? In den Gebirgstälern Österreichs ist oft nur Graslandbewirtschaftung möglich, da sind jahrtausendealte Kulturlandschaften in Symbiose mit Nutztieren entstanden.

Foer: Das ist eine sehr spannende Frage. Es stimmt, dass es Gegenden und Volksgruppen auf der Welt gibt, die keine andere Option haben. Aber es ist schon sehr wichtig, so eine Diskussion nicht über die Ausnahmen von der Regel zu führen. Österreichische Gebirgstäler sind so eine Ausnahme. Das Vieh, das hier gehalten wird, macht nur einen verschwindend kleinen Teil des österreichischen Fleischkonsums aus. In der Regel stammt unser Fleisch aus industrieller Massentierhaltung. Und genau da geht es um Tiere, die in ihrem Leben niemals auf einer Weide stehen dürfen. Sie dürfen mich nicht falsch verstehen: Ich sage nicht, dass wir aufhören müssen, Tiere zu nutzen. Worum es mir geht, ist, dass wir aufhören, sie in dieser industrialisierten Form zu quälen und auszubeuten.

Standard: Sie schreiben beide in Ihren Büchern, dass Sie zwar Vegetarier sind, Eier und Milchprodukte aber weiterhin konsumieren. Wo liegt eigentlich der fundamentale Unterschied zwischen den Milch- und Ei-Industrien einerseits und der Fleischindustrie anderseits?

Duve: In beiden werden Tiere ausgebeutet, in beiden sterben Tiere. Bei der Produktion von Milch und Eiern sterben aber wesentlich weniger Tiere. Aber es ist eine Tatsache, dass Kühen ihre Kälber weggenommen werden müssen, um an die Milch heranzukommen. Keine Frage, dass das mit Qualen, mit großer Angst aufseiten des Kalbs einhergeht.

Standard: Keine Frage auch, dass dieses Kalb in der Fleischindustrie endet ...

Duve: Exakt. Auch für die Kühe ist es mit wahnsinnigen Qualen verbunden. Die müssen andauernd schwanger gemacht werden, die werden auf ganz und gar unnatürliche Milchmengen hingezüchtet, die ihren Bewegungsapparat massiv beeinträchtigen. Insofern gibt es tatsächlich keinen großen Unterschied zwischen der Milch- und der Fleischindustrie. Allerdings, und das ist doch wesentlich: Es sind deutlich weniger Tiere involviert. Die Qualität des Leids bleibt also gleich, die Quantität aber ist deutlich geringer.

Foer: Für mich gibt es keinen Zweifel, dass es besser wäre, ohne Milch und Eier auszukommen. Es war noch nie so einfach wie heute, als Vegetarier zu leben. Veganer zu sein und auf Milch und Eier zu verzichten ist in unserer Gesellschaft deutlich schwieriger. Man findet nur wenige Restaurants, die darauf eingestellt sind. Auch was die gesunde Zusammensetzung der Nahrung und die Versorgung mit Spurenelementen, Vitaminen betrifft, gilt es aufmerksamer zu sein denn als Vegetarier. Das sind keine Gründe, nicht vegan zu leben - bloß jene, aus denen ich mich noch dagegen entscheide. Seit ich das Buch geschrieben habe, esse ich etwa halb so viel Eier und Milchprodukte wie zuvor, und es wäre mir lieber, ganz auf sie zu verzichten. Tatsache ist, dass ich meine Entscheidung nicht als vernünftig erklären kann, sondern nur als Folge meiner Schwäche. Ich bin - noch - zu schwach, um auf Milch und Eier zu verzichten...

Duve: ... so möchte ich das für mich auch zusammenfassen ...

Foer: Sehen Sie: Es ist immer gut, die eigene Schwäche in die Diskussion einzubringen. Die Menschen haben solche Angst, schwach oder scheinheilig zu wirken. Das ist oft der wahre Grund, warum sie, statt zu versuchen, das Richtige zu tun, gleich den Weg des geringsten _Widerstands einschlagen. Der Mensch will nicht mit _seiner eigenen Schwäche konfrontiert werden. Glauben Sie mir - ich weiß das aus eigener Erfahrung. Und klar ist es so, dass vegane Ernährung aus ethischer Sicht besser ist als vegetarische.

Standard: Es gibt nichts, das wir so nah an uns heranlassen wie das Essen. Warum also setzen wir uns viel eingehender mit anderen Konsumgütern auseinander - etwa dem Wagen, den wir fahren - als mit dem Essen, das wir in uns hineintun?

Foer: Ich denke, wir haben gute Gründe, mehr Zeit auf das Auto zu verschwenden als aufs Essen. Über Autos zu lesen macht Spaß. Bei Fleisch ist das ganz und gar nicht so. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich mit den Umständen unserer Lebensmittelproduktion auseinandergesetzt hat und als Folge davon mehr essen wollte. Wer das tut, will nachher weniger davon zu sich nehmen.

Duve: Da spielt auch Routine eine große Rolle. Wir kaufen ein, wir schieben in uns rein, was wir gewohnt sind. Dinge, die wir seit frühester Kindheit als Essen abgespeichert haben, werden nicht infrage gestellt . Dazu kommt, dass die Bilder, mit denen die Werbung uns Essen schmackhaft macht, schon eine gewaltige Macht haben. Klar wünschen wir uns, dass unsere Milch von Kühen stammt, die auf saftigen Weiden stehen. Wenn genau das auf der Verpackung zu sehen ist, ist es nur zu leicht, ohne viel Nachdenken einfach zuzugreifen. Wir wissen genau, dass die Realität anders aussieht, aber wir verweigern das Denken, lassen uns um der Bequemlichkeit willen sogar gerne betrügen.

Standard: Sie haben beide Hunde, also Wesen, die hochgezüchtet wurden, um den Bedürfnissen und Launen des Menschen zu entsprechen - oft mit grausamen Folgen wie Atem- oder Haltungsproblemen. Wie können Sie das moralisch akzeptieren?

Duve: Das stimmt, zumindest im Fall meines Hundes, voll und ganz. Und ich habe auch keine Entschuldigung dafür.

Foer: Ja, Hundezucht ist ein klassischer Fall menschlicher Hybris. Ich habe zwar eine Promenadenmischung, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob es grundsätzlich okay ist, Hunde zu halten. Es geht wohl in Ordnung, sich um Hunde zu kümmern, die unsere Hilfe brauchen. Aber man wird dadurch natürlich zu einem Faktor für andere. Die Leute kommen ja nur auf die Idee, sich einen Hund zuzulegen, weil sie andere Leute glücklich mit Hunden sehen.

Duve: Bei mir hat sich der Zugang auch ganz entscheidend geändert. Mein Hund aus dem Buch ist in der Zwischenzeit gestorben - den nächsten werde ich mir nicht mehr mit dem Ziel nehmen, dass er mir das Leben schöner macht, sondern dass ich ihm das Leben schöner mache. (Severin Corti/Der Standard/12/03/2011)