Dichter, Sänger, Schauspieler, Welterfinder: Nun kann der Wiener Gesamtkunstwerker André Heller auch Pferdeflüsterer und Drachenbezähmer zu seinen Berufen zählen.

Foto: Peter Rigaud

Echte und Fantasiepferde in André Hellers Show "Magnifico", die am 9. Februar in München uraufgeführt wird.

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Mit Andrea Schurian sprach Heller über das Kind in ihm, über bedingungslose Liebe, sinnliche Energien und über sein neues Show-Projekt.

Standard: Gehen Sie an solch ein Riesenprojekt mit routinierter Gelassenheit heran oder haben Sie jedes Mal aufs Neue Angst vor dem Scheitern?

Heller: Ich denke mir vor jedem Projekt, es ist ein Experimentierfeld, auf dem es auch gefährliche Verwerfungen gibt. Ich weiß aber, dass ich es immer wissender verlasse, als ich hineingegangen bin. Natürlich ist es ein viel interessanteres Leben, wenn man sich bei neuen Taten nicht auf Routine verlassen kann. Ich frage mich immer: Wo war ich noch nicht? Wo wartet ein Erlebnis, das mich verfeinert und fähiger macht? Früher war ich ein notorischer Angstmensch, der sich immer in mutige Situationen brachte und schauen musste, wie er zitternd überlebt. Aber wenn man in Geiselhaft seiner Ängste ist, wird man zerrissen. Also musste ich die Dämonen bezwingen lernen.

Standard: Wie?

Heller: Nach Jahrzehnten, da ich mich an Glücksgeschenken nicht erfreuen konnte, habe ich vor sieben, acht Jahren entschieden, diese raunzige Selbstbeschädigungsunzufriedenheit abzuschaffen. Ich erlaube mir nicht mehr, das Kind in mir zu entmutigen, erbarmungslos kleinzuschreien, kleiner, als es eh schon ist. Nun wache ich auch nicht mehr mit der Angst, was mir der Heller wohl heute wieder zumutet und ob er mir wieder den Teppich unter den Füßen wegzieht, auf. Aber leicht war dieses Erlangen einer behutsamen Freundschaft mit mir selbst nicht.

Standard: Ein Einhorn Ihrer Großmutter war ein Verbündeter, eine Art Schutzheiliger, Ihrer Kindheit. Welche Beziehungen haben Sie sonst noch zu Pferden?

Heller: Bis zu meinem siebten Lebensjahr ritt ich regelmäßig auf meinem Schaukelpferd in ferne, tropische Länder, die ich mir aus- und aufgemalt hatte, für die ich Hymnen komponierte und Flaggen entwarf. Und in meiner Wiener Wohnung gibt es einige Rösser, eine 800 Jahre alte hölzerne Grabbeigabe aus China etwa oder einen tritonshornblasenden Kentaur aus der Barockzeit. Viele meiner Bezugsmeister und inneren Verwandten und Ermutiger, Maler und Dichter haben sich mit mythologischen Pferdenfiguren beschäftigt. Einer wie Marino Marini hat sein ganzes Leben Pferdeskulpturen gewidmet. Und wussten Sie, dass aus dem Hufschlag des Pegasus der Fabel nach die Inspiration kommt - welch kostbareren Geleitschutz könnte es also für einen schöpferischen Menschen geben? Mir hat sich ein weites Feld aufgetan, das noch nie in einer Show für Menschen aller Altersgruppen und Ausbildungsgrade thematisiert wurde.

Standard: Ist diese Show also eine Art Kulturgeschichte des Pferdes?

Heller: Nein, es ist ein surreales Kaleidoskop, das viele dieser Assoziationen und Fantasiesplitter für Augenblicke sichtbar macht. Was man letztlich herzeigt, sind immer nur die Hobelscharten der spannenden Probenarbeit.

Standard: Finden Sie bei einem Thema wie diesem je ein Ende?

Heller: Nein. Aber man muss diese intensive Expeditionszeit beschränken, sonst gerät man außer sich. Ich schlafe in diesen Tagen vielleicht vier Stunden - sobald ich aufwache, stürzen Bildgrotesken und närrische Vorschläge auf mich ein. Die muss ich mitunter durch Fußtritte vertreiben. Das hält man drei, vier Monate aus, ehe man mit einem überfälligen Weinkrampf zusammenbricht, sich abbeutelt - und die gesunde Beziehung zu sich selbst wieder aufnimmt und sich fragt: "Wie geht es dir eigentlich?"

Standard: Und: Wie geht es Ihnen bei den Proben mit 200 Menschen, die ja alle ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Talente haben?

Heller: Für ein segensreiches Grundklima muss man drei Dinge beachten: Erstens: das Ego runterfahren, diesen Teufel, der ununterbrochen Handgranaten in den eigenen Garten wirft. Zweitens, auch wenn du 63 bist und schon viele aufwändige und merkwürdige Erfahrungen gemacht hast: dankbar dafür sein, dass du immer aufs Neue mit den wunderbarsten Verbündeten Träume in der Wirklichkeit auf ihre Statik überprüfen darfst. Und drittens: Mit Abstand das Schwierigste ist die bedingungslose Liebe - die Menschen für das zu mögen, was sie tatsächlich sind, und nicht für das, wie man sie haben oder modellieren will. Durch meinen Sohn habe ich gelernt, dass es derlei ernsthaft geben kann. Bei "bedingungslose Liebe" denken viele, ich sei bei einer Sekte oder Religion oder bei einem Guru. Es ist aber eine weise Verhaltensregel, um das Leben von Hindernissen und Qualen zu befreien. Für kritische Intellektuelle ist bedingungslose Liebe eine schwierige Übung, weil unter ihnen das dauernde Bewerten und aus der Karl-Kraus-Tradition kommende lustvolle Verletzen des vermeintlichen Gegners so hohes Ansehen genießt.

Standard: Kränkt es Sie, wenn Ihre Kritiker Ihre Arbeit nicht als Kunst betrachten?

Heller: Nein. Es ist eigentlich unabdingbar, mich außerhalb der Kunstregeln zu bewegen. Man muss viele anerzogene Prägungen auflösen und in eine andere Haltung emigrieren. Eines Tages kommt man so weit, zu sagen: "Du bist aus der katholischen Kirche ausgetreten. Warum trittst du nicht auch aus der Kunst aus, einem zumeist ebenso anmaßenden, strafsüchtigen Verein, der im Prinzip alle Strukturen einer Religion hat, mit Päpsten und Gegenpäpsten, Bischöfen und Pfarrern." Vor dem Zeitgeistgetue muss man sich klug schützen. Es darf einen nicht bekümmern, ob etwas gerade "in" oder "out" ist. Denn das kümmert eine Brennnessel oder eine Hummel auch nicht.

Standard: Unterscheiden Sie zwischen Kunst und Nicht-Kunst?

Heller: Nein. Ich unterscheide in sinnliche Energien, die mir heilend helfen, die mich inspirieren, beflügeln, ein frohes Herz schaffen, und schweren, oft groben oder zynischen Energien, die mich in Frösteln, Düsternis und Schwächung führen.

Standard: Sind Sie ein spiritueller Mensch?

Heller: Ich dachte jahrelang, wir wären Menschen auf der Suche nach menschlichen Erfahrungen. Dann dachte ich, wir wären Menschen auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen. Jetzt glaube ich, dass wir spirituelle Wesen sind auf der Suche nach menschlichen Erfahrungen. Ich gebe also ein Gastspiel in diesem André Heller und schaue mir an, welche Herausforderungen der erlebt. Das ist ziemlich interessant, mitunter unglaublich banal, wenn ich mir vor Augen führe, wie der in manchen Situationen mit sich und anderen umgegangen ist. Aber er hat es halt zu diesem Zeitpunkt noch nicht besser können. Deshalb will ich ihn auch nicht unversöhnlich mit Schuldzuweisungen belasten. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2011)