Bundespräsident Heinz Fischer glaubt, dass es heuer einen entscheidenden Schritt bei der Reform der Schule geben wird: hin zur Gesamtschule. Eine Reform fordert Fischer auch für den Bundesrat.

Cremers Photoblog: Beim Präsident im zweiten Stock

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"Die Neutralität ist sicher keine Folklore. Für mich ist die Neutralität ein wichtiger Aspekt in unserem Staatsrecht und in unserem Verfassungsgefüge."

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"Niemand kann mir vorwerfen, dass ich die Dinge durchwinke oder unterschreibe, ohne sie mir anzuschauen."

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STANDARD: Sie sind Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Wenn es nach der SPÖ geht, wird Ihre Truppe gekürzt und auf ein Berufsheer umgestellt. Was halten Sie von der Abschaffung der Wehrpflicht?

Fischer: Es ist nicht mein Bundesheer, sondern das österreichische Bundesheer. Meines Wissens ist die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht nicht im Regierungsprogramm enthalten. Aber ich habe nichts dagegen, dass man sich sachlich und ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob ein Berufsheer Vorteile hat gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht. Unser Bundesheer ist für die Sicherheit Österreichs verantwortlich, für den Katastrophenschutz unersetzbar, für internationale Einsätze wichtig. Es erfüllt auch eine staatsbürgerliche Funktion, wenn junge Leute lernen, in einem Team zu leben und zu arbeiten und sich öffentlichen Aufgaben zu widmen. Das Bundesheer muss ein Faktor in unserem Staat bleiben, der im Prinzip außer Streit steht. Daher bin ich auch dafür, dass man Schritte zu einem neuen System sehr verantwortungsbewusst und sehr sorgfältig setzt. Mir ist wichtig, dass das Bundesheer nicht zum Streitfall wird. Es ist wichtig, dass beide Regierungsparteien und möglichst auch die Opposition zu einer gemeinsamen Lösungen finden.

STANDARD: Sie stehen der Abschaffung der Wehrpflicht also sehr skeptisch gegenüber?

Fischer: Ich möchte, dass man einen Schritt nach dem anderen setzt und Klarheit über das Ziel hat, bevor die Reise beginnt. Jetzt wird gerade an einer neuen Sicherheitsstrategie gearbeitet. Ich meine, dass die richtige Reihenfolge so lauten muss: Zuerst brauchen wir eine Sicherheitsstrategie. Erst dann kann man das Instrument zur Umsetzung der Sicherheitsstrategie optimal strukturieren. Wir haben also keine Eile. Vor einem Jahr war die allgemeine Wehrpflicht noch "in Stein gemeißelt". Ein Stein besteht doch nicht aus Butter.

STANDARD: Was sind Ihre Zweifel?

Fischer: Beim Übergang von der Wehrpflicht zu einem Freiwilligenheer oder Berufsheer müssen bestimmte Annahmen getroffen werden. Es steht keineswegs fest, ob sich wirklich so viele Freiwillige melden, wie man braucht, um das Bundesheer intakt zu halten, und zwar zu jenen Bedingungen, die man anbieten kann, ohne budgetär übers Ziel zu schießen. Das kann man hoffen, aber das steht noch keineswegs fest. Ähnliches gilt für den Ersatz des Zivildienstes. Es ist die Frage, ob auf freiwilliger Basis tatsächlich jene Zahl zusammenkommen wird, die notwendig ist, um die Leistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich im bisherigen Ausmaß zu erbringen. Da gibt es ja einstweilen nur Annahmen.

STANDARD: Die SPÖ geht davon aus, dass man 6400 Freiwillige brauchen würde, um die gleiche Leistung zu erbringen wie jetzt die Zivildiener.

Fischer: Gut, aber ob sich diese tatsächlich melden, das ist noch nicht in Stein gemeißelt, wenn ich dieses Bild noch einmal bemühen darf.

STANDARD: Halten Sie es für realistisch?

Fischer: Ich hoffe, dass die Regierungsparteien, wenn sie diese Fragen verhandeln und wenn sie Einvernehmen in diesen Fragen anstreben, auch Einvernehmen über das Zahlengerüst erzielen.

STANDARD: Spielt in diesem Zusammenhang die Neutralität noch eine entscheidende Rolle oder ist sie ohnedies nur Folklore?

Fischer: Die Neutralität ist sicher keine Folklore. Für mich ist die Neutralität ein wichtiger Aspekt in unserem Staatsrecht und in unserem Verfassungsgefüge. Ich lasse mir die Neutralität nicht kleinreden. Man kann der Neutralität mit einer funktionierenden Wehrpflicht Rechnung tragen oder auch mit einem gut organisierten Berufsheer. Sofern sich eine genügend große Zahl von Freiwilligen meldet, das sage ich noch einmal dazu.

STANDARD: Wie haben Sie Ihre Zeit beim Bundesheer empfunden?

Fischer: Ich habe während meines Präsenzdienstes manchmal ordentlich geflucht. Ich war nicht immer nur happy. Aber aus längerfristiger Sicht habe ich nichts zu bereuen. Ich habe gute Freunde gewonnen, und ich habe einen Beitrag geleistet zu der Res publica. Ich war nicht unkritisch, aber die Bilanz aus heutiger Sicht ist positiv.

STANDARD: Was die Schuldebatte betrifft, haben Sie eine Präferenz zur Gesamtschule. Kann man das so sagen?

Fischer: Ich lasse mich nicht in das Parteikasterl A oder B einordnen. Aber ich habe eine klare Meinung. Wenn sich in vielen Ländern ein System bewährt und auch in Österreich von vielen Experten empfohlen wird, dass man den Selektionsprozess der Kinder nicht schon mit zehn Jahren in Angriff nimmt, sondern bis zu einer ausgeprägteren Reife im 14. Lebensjahr verschiebt, dann soll man das nicht ignorieren. Das hat für mich nichts mit Parteipolitik zu tun. Man kann ja auch mit 14 jene Bildungslaufbahn einschlagen, die jetzt durch die Oberstufe eines Gymnasiums abgedeckt wird und die ich selbst absolviert habe.

STANDARD: Also Zehn- bis 14-Jährige werden gemeinsam unterrichtet, danach kann man zwischen verschiedenen Optionen wählen.

Fischer: Das ist - verbunden mit entsprechenden Differenzierungen - ein vernünftiges Modell. Ich kann nur ersuchen, an dieses Problem ohne Scheuklappen, und zwar ohne linke und ohne rechte Scheuklappe, heranzugehen. Ich gebe der Regierung einen Vertrauensvorschuss, dass im Jahr 2011 im Bereich Bildung nützliche und wertvolle Schritte gesetzt werden.

STANDARD: Sind Sie bei der Verwaltungsreform ähnlich optimistisch?

Fischer: Das Vorjahr ist nicht so gelaufen, wie es sich die Öffentlichkeit erhofft hat. Ich glaube, man sollte auch Landeshauptmann Pühringer einen Vertrauensvorschuss geben und erkennen, dass im Jahr 2011 auch objektiv günstigere Voraussetzungen bestehen als 2010.

STANDARD: Ist der Föderalismus noch zeitgemäß?

Fischer: Der Föderalismus ist dann zeitgemäß, wenn er sich vernünftigen und notwendigen gesamtstaatlichen Reformen nicht in den Weg stellt. Wenn jemand die Abschaffung der Landtage fordert, übersieht er die große Rolle, die die Bundesländer im historischen Bewusstsein der Österreicher spielen. Anders ist es mit der Reform des Bundesrates: Den Bundesrat nicht als reformbedürftig zu bezeichnen ist Realitätsverweigerung.

STANDARD: Steht für Sie auch die Abschaffung des Bundesrats zur Diskussion?

Fischer: Ich bin für eine Reform und nicht für eine Abschaffung.

STANDARD: Sie haben eben erst die Bestellung von Ingeborg Kristen zur Gerichtspräsidentin in Wiener Neustadt unterzeichnet - allerdings erst mit 1. Februar. Frau Kristen hat aber bereits als vermeintliche Gerichtspräsidentin Verhandlungen geführt, obwohl sie noch gar nicht ernannt war. Man könnte sagen: Der Vorwurf, die Justiz arbeitet zu langsam, geht ins Leere, da war Ihnen die Justiz sogar einen Schritt voraus.

Fischer:Das hat doch mit Schnelligkeit nichts zu tun, wenn ein Verwaltungsablauf nicht so abläuft, wie es das Gesetz vorschreibt. Wenn eine Richterin ein Urteil schreiben würde, bevor Anklage erhoben wurde, wird man auch nicht Bravo sagen.

STANDARD: Haben Sie sich geärgert, dass Ihre Entscheidung nicht abgewartet wurde?

Fischer: Nein, denn gerade auch in diesem Fall müsste ja letzten Endes die Entscheidung abgewartet werden. Aber niemand kann mir vorwerfen, dass ich die Dinge durchwinke oder unterschreibe, ohne sie mir anzuschauen. Die Regierungsmitglieder wissen, dass man wichtige Personalentscheidungen dem Bundespräsidenten nicht an einem 22. Dezember vorlegen kann, wenn man will, dass das am 1. Jänner in Kraft tritt.

STANDARD: Nicht alle Regierungsmitglieder offenbar, Justizministerin Bandion-Ortner eben nicht.

Fischer:Ich glaube, jetzt wissen es alle.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Neujahrsansprache "Licht in Dunkel unappetitlicher Provisionsgeschichten und undurchsichtiger Finanztransaktionen" gefordert. Haben Sie den Eindruck, dass da etwas passiert?

Fischer: Das ist noch zu kurz her, um da bereits Auswirkungen feststellen zu können. Ich habe versucht, eine Sorge und ein Bedürfnis der Bevölkerung zu artikulieren, und außerordentlich viele positive Reaktionen auf diese Feststellung bekommen. Ich habe ausgesprochen, worüber sich viele Menschen Sorge machen. Dazu stehe ich nach wie vor. (Michael Völker, DER STANDARD-Printausgabe, 15./16.1.2011)