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Erstes Krankheitszeichen ist häufig die Entzündung der Lungenbläschen, die den Veränderungen im Röntgenbild mitunter lange vorauseilt.

Foto: APA/Ers/Handout

Wien - Alles wird gut. So sprachen meine Freundin, meine Familie, meine Freunde. Nur nicht die Ärzte und auch mir fehlte der Glaube. Im Rahmen einer Computertomographie wurde in meiner Lunge eine Raumforderung festgestellt. Ich hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört, so klang es zunächst auch nicht bedrohlich. Erst auf Nachfrage wurde mir klar, dass sich in meinem Körper ein Tumor eingenistet hatte. Vermutlich Krebs, vielleicht auch schon Metastasen, so wurde es mir mitgeteilt. Die Meinungen der Onkologen und Lungenärzte widersprachen sich nicht. Ich war 35 Jahre alt, neuerdings Vater und hatte entsetzliche Angst.

Scheinbar harmloser Beginn

Fünf Wochen zuvor, am 20. Februar 2009 hatte alles angefangen, Gliederschmerzen, dann Fieber, nicht weiter beunruhigend. Erst als mich die Einnahme der Medikamente kopfüber zur Toilette kriechen ließ, ich einen extremen Widerwillen zu Essen entwickelte und die wenigen Meter zwischen Schlaf- und Wohnzimmer zur kaum überwindbaren Hürde wurden, rief ich einen Hausarzt, der diagnostizierte flotten Blickes eine Angina. Nach drei weiteren Tagen unter hohem Fieber trieb mich diese vermeintliche Angina des Nachts in die Ambulanz des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Ein Blutbild später wurde mir ein harmloser grippaler Infekt bescheinigt und der flotte Weg nach Hause empfohlen.

Eine weitere Woche war vergangen als sich das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder meiner erbarmte. "Das Herz befehle" steht dort in mächtigen Lettern über der Rezeption geschrieben und es befahl, nämlich dass ich das Spital nicht mehr verlassen sollte. Bei einer Ultraschall-Untersuchung des Herzens wurde eine "hochgradig eingeschränkte Pumpleistung" festgestellt. Mit ernster Miene wurde mir mitgeteilt: "Herr Bauer, wir müssen Sie einkassieren." Ich war erleichtert, mein Zustand ließ mich bereits auf eine Aufnahme hoffen. Als die Möglichkeiten bei den Barmherzigen Brüdern an ihre Grenzen stießen und die Untersuchungen keinen Rückschluss auf die Ursachen meiner Symptome zuließen - wenngleich eine Herzmuskelentzündung als wahrscheinlich galt -, wurde ich ins Wiener AKH verlegt.

Über die Angina zum Krebsverdacht

Nach einem Untersuchungsmarathon, der nicht nur über Herzkatheter, Magnetresonanz und Schluckultraschall (gelinde gesagt unangenehm) führte, wurde ein Herzinfarkt festgestellt. Die Botschaft wurde mir mit den Worten "Sie können froh sein, noch am Leben zu sein!" übermittelt. Dieser Herzinfarkt wurde später nie bestätigt, aber nach der Ursache fortan gesucht. Da ich mittlerweile auch über heftige Bauchschmerzen klagte und mir nur noch mit Schmerzmittel und Schlaftabletten zu helfen war, wurde ein Tumormarkertest veranlasst. Da ich gerade eine Pechsträhne hatte, überraschten mich die überhöhten Werte auch nicht mehr.

Als ich zur fällig gewordenen Gastro- und Koloskopie antrat, sah der zuständige Arzt meine Werte an und teilte mir sofort mit, dass meine Sorge unberechtigt sei und er wenig Verständnis für die Vorgangsweise seiner Kollegen habe: Tumormarker seien nicht zum Entdecken einer Erkrankung sondern nur zur Verlaufskontrolle geeignet. Also weder Darm- noch Magenkrebs. Die Computertomographie des Thorax brachte aber weit Konkreteres zu Tage: die eingangs erwähnte Raumforderung, den Krebsverdacht. Um den letzten Zweifel aus dem Weg zu räumen, riet man mir zu einer Mediastinoskopie, einer minimal-invasiven Operation, um eine Gewebeprobe zu entnehmen. Die Diagnose am 7. April 2009 hieß: Sarkoidose. Ja, dieses Wort war mir schon untergekommen, nämlich als man mir mitteilte, dass dies wohl kaum meine Erkrankung wäre.

Ein vermeintlicher Jackpot

Der Sog hatte aufgehört mich nach unten zu ziehen: Angina, Grippe, Herzmuskelentzündung, Herzinfarkt, Krebs. Und plötzlich doch nur eine Sarkoidose, eine systemische Erkrankung des Bindegewebes mit Granulombildung, deren Ursachen unbekannt und deren Prognose bei Cortisontherapie exzellent ist. Zumindest solange die Erkrankung nur auf Lunge und Lymphknoten übergreift, in meinem Fall war aber auch - der Verdacht lag freilich auf der Hand - das Herz betroffen. Herzsarkoidose, eine Krankheit wie ein Jackpot, so selten dass es dafür keine Experten, ja nicht einmal verlässliche Studien gibt. Die wenigen verfügbaren ermuntern nicht zur Pensionsvorsorge. Erste Konsequenz: die Implantierung eines Kardioverter/Defibrillators.

So ein Gerät baut man einem 35-Jährigen aber nicht mir nichts, dir nichts ein. Ich wurde also zur Herzbiopsie nach Innsbruck verfrachtet und siehe da: wahrscheinlich keine Sarkoidose. Womit sich endgültig bestätigte, was mir einer meiner verzweifelten Ärzte bei jedem Gespräch unter die Nase rieb: "Sie sind kein 08/15-Fall, echt nicht." In der Lunge eine Sarkoidose, an der Pumpe wohl doch eine Herzmuskelentzündung. Dr. House hätte seine Freude gehabt. Ganz so unterhaltsam war die Zeit dann aber doch nicht: die Schmerzen, die Angst, die Panik, die Schlaflosigkeit - es haben sich unbekannte Abgründe eröffnet.

Ja warum nicht ich?

Die zehn verlorenen Kilogramm nahm ich schnell wieder zu, die Knoten in der Lunge verschwanden dank Cortison, auch die Pumpleistung des Herzens verbesserte sich dank einer kombinierten Immunsuppression. Knapp zwei Jahre sind seit dem Beginn der Erkrankung vergangen, ich bin weiter unter Behandlung, fühle mich gesund und bei den Kontrollen im AKH sehr gut betreut. Den Zimmerkollegen, der mir in der Nacht die Sauerstoffzufuhr abdrehen wollte, weil ihn das Blubbern beim Einschlafen störte, habe ich mir gemerkt. Ansonsten hat sich mein Groll gegen manch unterkühlte Ärzte, gegen die lachend in mein Zimmer stürmenden Studenten, gegen Gott und die Welt längst gelegt. Warum gerade ich? Ja warum eigentlich nicht ich?

Ich denke an das Pflegepersonal, dass trotz harter Arbeitsbedingungen immer sehr nett zu mir war, an jene Ärzte in Wien und Innsbruck, die ihre Kompetenzen bündelten, um doch noch eine geeignete Therapie zu finden. Ich bringe meinen Sohn in den Kindergarten, danach gehe ich in die Arbeit. Davon hatte ich geträumt. Es ist jetzt gut, alles ist gut. (derStandard.at, 12.2010)

Philip Bauer (37) ist Ressortleiter von derStandard.at/Sport.