Nationalratspräsidentin Barbara Prammers "Lieblingsraum": Architekt Theophil Hansen perfektionierte sogar ungenutzte Orte.

Photoblog von Matthias Cremer: Dachbodenfund im Parlament

Foto: Der Standard/Cremer

Wien - Das Dach ist eine akute Problemzone. Nicht nur, aber im Winter ganz besonders. Während also unten im Plenarsaal des Nationalrats am Mittwoch hitzig über das neue Budget debattiert wurde, strömte oben wieder viel heiße Luft in den Himmel über Wien. Denn das gläserne Parlamentsdach - die darunter sitzenden Abgeordneten sollten nicht ganz ohne Tageslicht arbeiten müssen - stammt aus einer Zeit, in der man "relativ lässig mit Schneelast umgegangen ist", erzählte Architekt Hermann Schnell im Rahmen einer von Parlamentspräsidentin Barbara Prammer (SP) organisierten Führung durch das sanierungsbedürftige Hohe Haus.

Diese Lässigkeit rächt sich jetzt wieder, denn der Schnee muss weg, weil der Tragkraft des Daches nicht ohne Grund nicht ganz getraut wird. Was tun? Wo früher Schneeschaufler im Dienste der Demokratie malochten, wird nun die Beheizanlage auf dem Dachboden des Parlaments angeworfen, auf dass sie dem Winter von oben entgegenheize. Politisch korrekte Energieeffizienz ist das eher nicht.

Am Dach lässt sich besonders gut sehen, wie akut die Sanierungsbedürftigkeit des von Theophil Hansen (1813 in Kopenhagen geboren, 1891 in Wien gestorben) zwischen 1874 und 1883 erbauten Ringstraßengebäudes ist.

Immobilienentwickler Schnell, der mit dem "Quickborner Team" schon den Umzug des deutschen Parlaments von Bonn nach Berlin organisiert hat, sagt dazu: "Am Ende geht's um das Dach, die Fenster und die Technik."

Es bröselt und rieselt. Reinregnen. Rausheizen. Das Haus am Ring geht den Gang, den jedes Gebäude nach etwa 50 bis 60 Jahren geht: es verkommt, wenn nichts getan wird. Das österreichische Parlament ist in einer Phase seines Lebenszyklus angekommen, der über Sein und Nichtsein entscheiden könnte. "Will man dieses Haus verfallen lassen oder nicht", fragt Präsidentin Prammer.

Im Februar 2011 geht das einjährige Moratorium des parlamentarischen Baukomitees zu Ende, dann soll entschieden werden, ob und in welcher Form das Parlament saniert werden soll. Baubeginn wäre frühestens Ende 2013.

Für ambitionierte Architektur böte Freiherr von Hansens Bauwerk viele Möglichkeiten. Im Nutzungskonzept vorgesehen wären ein öffentliches Restaurant oder Café unter dem Dach, ein Bookshop und andere für die Bevölkerung frei zugängliche Bereiche.

Hansen sah in den Parlamenten die "neuen Monumente" wie die Tempel der Antike und die Kathedralen des Mittelalters. So baute er auch. Bei den Planungsarbeiten wurden ungenutzte Räume entdeckt, die aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden sollen und Experten wie Professor Schnell ins Schwärmen bringen.

Wenn er über Hansen spricht, dann redet er von "bildhauerischer Kraft und Kunst", von "formaler und handwerklicher Präzision" (es gibt keine Trennfugen). Ein Raum hat es ihm und Prammer gleichermaßen angetan. "Eine der schlummernden, schönen Reserven des Parlaments", sagt Schnell. In der Tat wirkt der Saal fast wie eine profane Kathedrale für die Demokratie.

Nicht nur unterm Dach gibt es verborgene Räume. Das Parlament liegt quasi wie ein Eisberg am Rande der Ringstraße. Es ist laut Prammer ungefähr "so tief wie hoch". Viel Potenzial in alle Richtungen. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2010)