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Haarausfall ist hormongesteuert: Dihydrotestosteron lässt Haarzellen verkümmern.

Foto: APA/Martin Gerten

Haarwasser, Pillen, Kuren mit Meereskorallen, Trockenbürstenmassagen oder Geräte zur Entspannung der Kopfhaut: Es gibt kaum etwas, das nicht gegen Haarausfall angeboten wird. "Es gibt viele Behandlungsmethoden, die leider überhaupt nicht helfen oder bei denen eine Wirkung nicht nachgewiesen wurde", sagt Ralph Trüeb, Präsident der Europäischen Haarforscher-Gesellschaft. "Nur bei wenigen Mitteln zeigen gute Studien, dass sie wirken. Je früher man damit anfängt, desto besser."

Ärzte unterscheiden verschiedene Formen von Haarausfall - je nachdem, ob die Haare überall oder nur an bestimmten Stellen ausfallen und ob sie wieder nachwachsen. Am häufigsten liegt es an den Erbanlagen: Die Vererbung ist schuld an der häufigsten Form von Haarausfall, der androgenetischen Alopezie. Etwa jeder zweite Mann bekommt dadurch eine typische Männerglatze und fast jede fünfte Frau. Bei Männern beginnt es mit Geheimratsecken und einer "Platte" am Hinterkopf, bei Frauen fallen die Haare zunächst entlang des Mittelscheitels aus. Der Mechanismus ist der gleiche: Die Zellen der Haarwurzeln reagieren empfindlicher auf das männliche Geschlechtshormon Dihydrotestosteron (DHT). Das lässt die Haarwurzeln verkümmern, die Wachstumsphase im Haarzyklus verkürzt sich (siehe Wissen). Aus den Haarwurzeln sprießen nur noch zarte, fast unsichtbare Härchen. "Ob der Haarverlust mit 26 oder erst mit 46 Jahren beginnt, wie schnell er fortschreitet und welches Ausmaß er annimmt, bestimmen die Erbanlagen", sagt Daisy Kopera, Expertin für Haarkrankheiten an der Med-Uni Graz. "Bestimmte Faktoren können aber den Haarverlust zusätzlich beschleunigen, zum Beispiel Stress."

Wenig zu tun mit der Vererbung hat der diffuse Haarausfall, bei dem jemand überall auf dem Kopf Haare verliert. Am Anfang sieht man davon oft noch nichts. "Jedem Menschen fallen täglich bis zu 100 Haare aus, das ist völlig normal", sagt Dermatologin Kopera. "Wenn man sie aber büschelweise herausziehen kann oder sich das Haar merkbar ausdünnt, sollte man einen Arzt aufsuchen." Viele Faktoren können den Haarzyklus (siehe Grafik) so durch- einanderbringen, dass die Haare vorzeitig verkümmern oder ei- nen kürzeren Wachstumszyklus durchlaufen: Eisenmangel, Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse, Hungerkuren, Infektionen, Krebs oder Medikamente.

Varianten der Kahlheit

Auffälliger ist der kreisförmige Haarausfall mit einer oder mehreren kahlen, meist runden Stellen am Kopf. "Diese Alopecia areata ist vermutlich eine Autoimmun-erkrankung, bei der durch eine latente Entzündung die Haarwurzeln in einer verlängerten Ruhepause bleiben", erklärt Kopera. Bei jedem Dritten wachsen die Haare innerhalb eines halben Jahres wieder nach. Doch oft treten die kahlen Stellen irgendwann wieder auf, bei manchen wachsen die Haare gar nicht wieder nach. "Meist empfehlen wir eine Behandlung mit Cortison oder anderen entzündungshemmenden Medikamenten, um die überschießende Immunreaktion zu bremsen." Manche profitieren von einer psychosomatischen Therapie, "zum Beispiel dann, wenn wir psychische Belastungen als mögliche Auslösefaktoren identifizierten." Am besten lässt man sich von einem Dermatologen mit Erfahrung in Haarkrankheiten beraten. Dieser kann auch die Ursachen für diffusem Haarausfall finden und dann gezielt die Therapie auswählen.

Bei erblich bedingtem Haarausfall konnten Forscher bei zwei Medikamenten nachweisen, dass sie wirken: Für Männer Finasterid-Tabletten und für Frauen und Männer Minoxidil-Lösung zum Auftragen. Finasterid verhindert in den Haarfollikeln die Umwandlung von Testosteron zu DHT. "Studien zeigen, dass sich damit für die Dauer der Behandlung bei mehr als neun von zehn Männern der Haarausfall stoppen lässt", erklärt Dermatologe Trüeb. Immer suggerieren Berichte im Internet oder in Zeitschriften, das Medikament führe zu Erektionsschwäche oder abnehmender sexueller Lust. "Das ist selten. Und wenn solche Nebenwirkungen auftreten, verschwinden sie nach einer Weile von selbst", sagt Trüeb.

Minoxidil kann bei etwa einem von drei Männern und zwei von drei Frauen Haarausfall bremsen. Ob und wie gut Minoxidil wirkt, hängt davon ab, wie lange und wo man den Haarausfall hat und wie alt man ist: Ist man jung und hat man erst eine kleine kahle Stelle auf dem Scheitel, sind die Erfolgsaussichten am größten. Stellt der Arzt bei Frauen erhöhte männliche Hormonwerte im Blut fest, könnten sie von einer Hormonbehandlung profitieren. Diese verhindert, dass DHT an den Haarfollikeln wirken kann. "Für eine erfolgreiche Therapie gegen Haarausfall braucht man Geduld und Disziplin", sagt Trüeb. Die Medikamente muss man selbst bezahlen, und sie wirken nur, solange man sie konsequent anwendet. "Die einzige dauerhafte Therapie ist eine Eigenhaartransplantation." Neue Behandlungen sind nicht abzusehen.

"Es gibt zwar Pharmafirmen, die Medikamente mit neuem Wirkmechanismus untersuchen", berichtet Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller in Berlin. "Zurzeit lässt sich aber weder sagen, wie gut die Präparate wirken, noch, wie gut sie verträglich sind." Auch Versuche, mithilfe von Gentherapie Haarwurzelzellen zum Wachstum anzuregen, stecken noch in den Kinderschuhen. "Ein Wundermittel gegen Haarausfall gibt es leider noch nicht", bestätigt auch Kopera. "Wichtig ist, dass man sich nicht in das Problem hineinsteigert - das kann psychische Probleme nach sich ziehen." Besser also, man schaut sich Filme mit Bruce Willis an und findet sich mit seiner Frisur ab. (Felicitas Witte, DER STANDARD Printausgabe, 08.11.2010)