Sven-Eric Bechtolf philosophiert über die bizarren Auswüchse eines romantischen Künstlerideals.

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Das Stück wird als erste Neuinszenierung der Ära Dominique Meyer gezeigt.

STANDARD: Nachdem Sie zuletzt an der Staatsoper Wagners "Ring des Nibelungen" geschmiedet haben, inszenieren Sie mit Paul Hindemiths "Cardillac" die Geschichte eines Goldschmiedes. Warum hat sich der neusachliche Hindemith für diese Kunst interessiert, die von alters her mit der Alchemie verbunden ist?

Bechtolf: Ein Goldschmied ist kein Alchemist! Dann müsste Cardillac ein Goldmacher sein und wäre erheblicher Probleme entledigt. Aber das ist der Alchemie nie gelungen. Als Nebenprodukt ist irgendwelches wertloses Zeug und bekanntlich auch das Porzellan herausgekommen. Paul Hindemith dürfte dies bekannt gewesen sein. Daher entspringt sein Interesse für René Cardillac aus der Novelle Das Fräulein von Scuderi von E. T. A. Hoffmann, in der ebendieser Cardillac porträtiert wird. Dass er kein Künstler, sondern ein Kunsthandwerker ist, entspricht durchaus dem neusachlichen Selbstverständnis, wobei das Werk noch deutlich expressionistische Züge trägt.

STANDARD: Wo liegt für Sie der ästhetische Schlüssel für die Märchenwelt dieser Oper?

Bechtolf: Ferdinand Lion, der Librettist, hat erhebliche Veränderungen an der Erzählung vorgenommen. Hindemith schickt das Werk vollends in die Beschleunigungs- und Entschlackungszentrifuge des Expressionismus. Hier, in der Hindemith'schen Musik, ist der Schlüssel zu suchen.

STANDARD: Wie finden Sie in der Regie das richtige Timing für Hindemiths neobarocke Formen? Muss man da nicht vollkommen anders arbeiten als bei der Musik Wagners?

Bechtolf: Ja. Hindemith wollte das Genre ja auch restaurativ reformieren: Zurück zur Nummernoper des 18. Jahrhunderts, weg vom romantischen Musikdrama des 19. Jahrhunderts. Hier sind also andere Mittel als Naturalismus und psychologische Feinzeichnung gefragt. Ansonsten ist es wie immer: Man muss die Musik sehr genau kennen.

STANDARD: Das romantische Künstlerbild in der Oper ist dem Handwerkertum Hindemiths diametral entgegengesetzt. Wie kann die Regie zwischen diesem Widerspruch vermitteln?

Bechtolf: Das muss die Regie überhaupt nicht vermitteln. Im Gegenteil, die Disparität dieses Stückes macht seinen Reiz aus. Neben- bei deckt sich der expressionistische Subjektivismus kurios mit dem romantischen Künstlerideal und all seinen bizarren Auswüchsen.

STANDARD: Der Sänger der Titelfigur, Juha Uusitalo, war im "Ring" Ihr Wotan. Ist es eher hinderlich oder hilfreich, mit einem Künstler zu arbeiten, den man in einem anderen Zusammenhang bereits sehr gut kennt?

Bechtolf: Das ist natürlich sehr förderlich, denn Juha Uusitalo vertraut mir und ich ihm.

STANDARD: Cardillac kann sich nicht von seinen Werken lösen. Wann ist denn für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie eine Regiearbeit oder eine Rolle, die Sie selbst spielen, loslassen können?

Bechtolf: Unmittelbar nach der letzten Vorstellung. Im Falle einer Regiearbeit nach der Premiere. Nur wenige, sehr einschneidende Rollen oder Produktionen spuken noch jahrelang in mir herum.

STANDARD: Ein Wort zur Fassungsfrage. Sie machen die Oper in ihrer ursprünglichen Form aus dem Jahr 1926, die Hindemith nach seiner Neufassung von 1952 eigentlich gar nicht mehr gespielt wissen wollte. Warum?

Bechtolf: Die Fassung von 1926 ist die wildere, im positiven Sinne schrägere. An ihr lässt sich Hindemiths Modernität und Frische am deutlichsten machen.

STANDARD: Bei den vielen Rollen, die Sie derzeit spielen – Sie sind Schauspieler, Regisseur und ab 2011 Schauspielchef der Salzburger Festspiele – wie finden Sie den Ausgleich zwischen diesen Beschäftigungen? Droht nicht manchmal etwas davon zu kurz zu kommen?

Bechtolf: Ich hoffe nicht. Aber ich organisiere mich ganz gut. Und hier und da werde ich wohl auch kürzertreten müssen.

STANDARD: Wie erleben Sie das Wiener Publikum bei Schauspiel und Oper?

Bechtolf: Leidenschaftlich und vom Theater besessen. Wenn es ihnen gefällt, gibt es kaum ein dankbareres, im anderen Falle kaum ein strengeres Publikum. ( Daniel Ender, DER STANDARD – Printausgabe, 16./17. Oktober 2010)