Bild nicht mehr verfügbar.

Bei alten Menschen tritt das postoperative Delir häufiger auf als bei jüngeren.

Foto: APA/Frank May

Herr K. macht sich Sorgen. Seine betagte Mutter ist nach der Operation ganz verändert. Der Eingriff war gut verlaufen, der Krankenhausaufenthalt sorgfältig geplant. Eigentlich sollte alles in bester Ordnung sein. Am Morgen nach der Operation war die rüstige Endsiebzigerin wach und gut ansprechbar und beantwortete klar die Fragen der Ärzte nach ihrem Befinden. Im Laufe des Tages wurde sie aber immer stiller und begann ziellos an ihrem Nachthemd zu zupfen. Als der Sohn spätnachmittags wieder zu Besuch kam, reagierte sie nicht auf seine Fragen, wirkte desorientiert und zunehmend verwirrt.

Gerhard Eschweiler, Altersmediziner an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen kennt das Krankheitsbild: „Viele betagte Patienten entwickeln in den ersten Stunden oder Tagen nach größeren Operationen oder bei einem Krankenhausaufenthalt das sogenannte „Postoperative Delir". Es kann sich bereits nach dem Erwachen aus der Narkose zeigen oder innerhalb der ersten Stunden nach der Operation auftreten. Manchmal entwickelt es sich auch erst nach einigen Tagen. Die betroffenen Patienten sind zeitlich und örtlich desorientiert und erkennen manchmal ihre Angehörigen nicht mehr.

Hyper- oder hypoaktiv

Es werden zwei Formen der Aktivitätsänderung unterschieden. Die eine Form äußert sich in motorischer Unruhe. Die Patienten sind sehr aktiv, entfernen mitunter völlig desorientiert Infusionsschläuche oder irren im Krankenhaus herum. Die andere, häufigere Variante, die auch Herr K. an seiner Mutter beobachten durfte, bezeichnen Experten als hypoaktives Delir. Der Patient wirkt dabei sehr introvertiert, ist nicht ansprechbar und kann mit der Außenwelt kaum Kontakt aufnehmen. Bewegungsarmut, Halluzinationen und Desorientierung können ebenfalls zum Krankheitsbild gehören. „Der Begriff „Delir" bedeutet Verwirrtheit und hat in diesem Zusammenhang übrigens nichts mit Alkoholproblemen zu tun", erläutert der Experte für Altersmedizin.

Herr K. erzählt, dass seine Mutter am Abend sehr schreckhaft reagierte und sich zunehmend ängstigte. Eschweiler kann das bestätigen: „Patienten können in dieser Situation durchaus auch Wahnvorstellungen entwickeln und bedrohliche Gestalten sehen." Die Symptome sind dabei oft tageszeitabhängig und können sich laufend ändern. Ein Patient, der morgens noch gut ansprechbar ist, kann abends bei Sonnenuntergang desorientiert sein.

Hirnfunktionsstörung

Das Phänomen ist zwar schon lange bekannt, wie es jedoch genau entsteht, ist noch nicht ausreichend erforscht. Sicher ist, dass es sich um eine Hirnfunktionsstörung handelt, die das Gedächtnis, die Orientierung und die Wahrnehmung der Patienten beeinflusst. Häufig zeigt sich ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, der den Teufelskreis aus Stress, Ängsten und Verwirrtheit weiter verstärkt. „Alte und gebrechliche Patienten mit vielen Vorerkrankungen sind besonders gefährdet", so die Erfahrung des Professors.

Als Auslöser und Ursachen des Delir werden unter anderem Fieber, Infektionen, eine bereits bestehende Demenz, Schmerz, Flüssigkeitsmangel, Mangelernährung, viele Medikamente und altersbedingte Begleiterkrankungen diskutiert. Auch Suchtpatienten und Patienten mit bereits bestehenden Hirnfunktionseinschränkungen, wie beispielsweise ein früherer Schlaganfall, gelten als gefährdet. Männer und Frauen sind dabei gleichermaßen betroffen.

Wertvolle Beobachtung

Herr K. berichtet am nächsten Tag dem Pflegepersonal von dem auffallenden Verhalten seiner Mutter. „Das ist wichtig", so Eschweiler, „die Beobachtungen der Angehörigen sind genauso wertvoll wie der geschulte Blick der Ärzte und des Krankenpflegepersonals auf Intensivstationen und Wachzimmern". Zum einen müssen hyperaktive Patienten vor einer Selbstgefährdung geschützt werden, außerdem brauchen teilnahmslose Patienten mehr Unterstützung und Zuspruch bei der Mobilisation.

Welche Schritte unternommen werden, hängt jeweils vom individuellen Zustand des Patienten und seiner Erkrankung ab. Um die Patienten bei ihrer Orientierung zu unterstützen, sind Stress-senkende Maßnahmen gefragt, und sie sollten frühzeitig ihre Brille und ihr Hörgerät bekommen, beides hilft, sie aus ihrer Isolation und Passivität herauszuholen. Eine wichtige Information für die behandelnden Ärzte ist auch, wenn der Hausarzt, die Angehörigen und der Patient schon bei den Voruntersuchungen darauf hinweisen, ob ein früherer Krankenhausaufenthalt zu Verwirrtheit geführt hat.

Ängste und Stress abbauen

Was können die Angehörigen in der akuten Situation tun? Sie können Orientierung und Verankerung in der ungewohnten Umgebung bieten und so Ängste abbauen helfen, rät Eschweiler. Ein Foto mit bekannten Gesichtern auf dem Nachttisch und persönliche Gegenstände helfen dem Patienten, sich zurecht zu finden. Herr K. und seine Familie beispielsweise besuchen ihre Mutter jetzt vor allem in den Abendstunden, er setzt sich ans Bett, hält ihre Hand und wirkt so beruhigend auf sie ein. Gerade weil Patienten auf die ungewohnte Umgebung mit Stress reagieren sind Zuwendung, Beruhigung, Reizabschirmung und ein geregelter Tagesablauf von Nutzen, erklärt der erfahrene Geriater. Das Symptom ist übrigens auch unter dem Namen „Durchgangssyndrom" bekannt. Schon der Name weist darauf hin, dass eine hohe Chance besteht, dass sich die Verwirrtheit zurückbildet - je nach Patient innerhalb weniger Tage bereits im Krankenhaus oder stetig im Laufe der ersten Monate in der vertrauten häuslichen Umgebung. (red)