So ein Gutachten ist etwas Praktisches. Jeder kann sich daraus bedienen, wie es ihm gefällt. Das passiert gerade in Deutschland. Da erklärt der FDP-Wirtschaftsminister, man müsse die Atomkraftwerke bis zu 20 Jahre länger laufen lassen. Der CDU-Umweltminister kommt beim selben Gutachten zu ganz anderen Einschätzungen.

Sicherlich, die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken ist eines der zentralen Vorhaben der schwarz-gelben Regierung. So etwas erledigt man nicht von einem Tag auf den anderen. Dennoch: Ein bisschen weniger Chaos wäre schon wünschenswert. Die Atomkraft ist ein Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt.

Doch die Regierung ist gespalten, Kanzlerin Angela Merkel präsentiert sich (wieder einmal) als eine Meisterin des Lavierens. Das zeigt, wie sehr sie unter Druck ist.

Seit Jahrzehnten lehnt eine Mehrheit der Deutschen Atomkraft ab, auch die von Merkel angestrebte Verlängerung der Laufzeiten wird nicht goutiert.

Auf der anderen Seite setzt die Atomindustrie Merkel massiv unter Druck. Sie will zwar von längeren Laufzeiten profitieren, aber nicht dafür bezahlen. Auch von einer freiwilligen Abgabe ist die Rede - eine derartige Behandlung würde sich auch so mancher Normal-Steuerzahler wünschen. Wenn Merkel hier nachgibt, muss sie sich den Vorwurf der Klientelpolitik gefallen lassen. Zwar wäre die Zukunft der Atommeiler strahlend, weniger aber ihre eigene. (Birgit Baumann, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.8.2010)