Ein nach Erdbeeren duftender Bär muss kein Vertrauensmann sein: Buzz Lightyear und seine Kumpels treffen in "Toy Story 3" in der Kinderkrippe auf ein Regiment des Schreckens. Ab Freitag im Kino.

Foto: Pixar

Wien - Das Naserümpfen über die Sequel-Flut aus Hollywood hat natürlich jede Berechtigung. Im Fall von Toy Story 3 erzählt jedoch schon die Zeit, die man zwischen den Teilen verstreichen ließ, von einem konzentrierteren Zugriff auf das Material: Ganze 15 Jahre vergingen seit dem ersten Auftritt von Woody, Buzz Lightyear und Mr. Potato Head - und einem Film, mit dem die Erfolgswelle des digitalen Animationsfilms von Pixar begann. Nur darum, Gewinne rasch abzuschöpfen, ging es hier also nicht.

Der weiter zielende Zugang zeigt sich schon an der smarten Entscheidung der Autoren Andrew Stanton, Lee Unkrich (auch Regie) und Pixar-Boss John Lasseter, nun die Vergänglichkeit selbst zum Thema zu machen. Eine schwere Decke der Melancholie liegt über Toy Story 3, wenn der mittlerweile fast volljährige Andy zu Beginn sein Zimmer entleeren soll, weil er ins College wechselt und seine Spielzeugfreunde vor einer entscheidenden Weggabelung ihres Lebens stehen: Landen sie in der sicheren, aber langweiligen Pension Dachboden - oder brechen sie in das ungewisse Exil Kinderkrippe auf und geben damit ihren Besitzer endgültig auf?

Bei Pixar dürfte man ein gewisses Faible für alle jene Dinge unserer sogenannten Überflussgesellschaft haben, die irgendwann ihren eigentlichen Zweck verlieren. Schon der Müllroboter Wall-E leistete sich den Traum einer anderen, vor allem geselligeren Umgebung, was dem Film sein humanistisches Pathos verlieh. Die Dinge sind nun auch in Toy Story mehr, als sie objektiv erscheinen; sie sind eben nicht nur das, was ihnen ihre Designer an Fähigkeiten verleihen, sondern immer auch das, was wir in ihnen sehen. Das ist eigentlich purer Pop: Massenobjekte erscheinen als unverfälschte Individuen, die mit heiligem Ernst, emotionaler Verve und umwerfender Komik agieren.

Viel Liebe zum Detail

An Toy Story 3 mag man die Qualitäten von Pixar vielleicht auch deswegen so gut erkennen, weil hier kein origineller Rahmen mehr erzählerische Möglichkeiten generieren muss. Alles ist Liebe zum Detail. Eine Kinderkrippe genügt als zentraler Schauplatz, ein eisern kontrolliertes Territorium, in dem keineswegs nur herzige Kinderfreunde warten: Unter den Spielzeugen herrscht ein rigides Zweiklassensystem, und wer aufmuckt, landet hinter Gittern. Auf das Genre des Gefängnisausbruchfilms muss man in diesem Kontext erst einmal kommen - nicht nur beim Paul-Newman-Klassiker Cool Hand Luke hat man sich Ideen dafür abgeschaut.

Aber nicht solcher Zitate wegen ist der Film so betörend, sondern aufgrund der Fallhöhen, die er bereithält, im physischen wie psychologischen Sinn. So verbirgt sich hinter dem rosafarbenen, nach Erdbeeren duftenden Bär Lotso (im Original von Ned Beatty gesprochen) ein Bösewicht, dessen Vorgeschichte ein Trauma von epischen Ausmaßen offenbart. An seiner Seite steht Big Baby, eine Gefängniswärter-Babypuppe mit hängendem Lid - mit solchen Einfälle beweist Pixar seine ungebrochene Originalität.

Die manchmal schon arg düster-beklemmenden Atmosphären konterkariert der Film stets mit dem richtigen Gegengewicht - sei es verblüffender Dialogwitz, sei es 3D-beschleunigte Attraktion -, bis die haarsträubenden Fluchtmanöver auf einem Mistplatz ihren Höhepunkt finden. Das Ende liegt für die Spielzeughelden natürlich anderswo; und darin steckt die vielleicht ein wenig sentimentale, aber reichlich gerechte Ökonomie eines Films, in dem ein jeder das bekommt, was er verdient. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Printausgabe, 28. 7. 2010)