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Dreieinhalb Monate mit dem iPad

Fotos: Reuters/Newald

Dreieinhalb Monate ist es her, seit dieser iPad im Apple Store an der Fifth Avenue gekauft wurde, etwa eine Dreiviertelstunde nachdem die Menge am 3. April Einlass gefunden hatte. Etwas mehr als 3,3 Millionen Stück hat Apple seither von seinem "magischen" Tablet verkauft (Definition Steve Jobs), das macht rein rechnerisch bis Jahresende rund neun Millionen Stück. Weil sich bei erfolgreichen Produkten der Verkauf üblicherweise exponentiell entwickelt und der internationale Launch erst jetzt erfolgte ist anzunehmen, dass Apple bis Jahresende mehr als zehn Millionen seiner neuen Produktlinie verkauft und unterm Strich mehr als fünf Milliarden Dollar Umsatz seiner Bilanz hinzufügt. Das ist Magie.

In diesen dreieinhalb Monaten ist die europäische Schuldenkrise hochgekocht und der Euro hat zwischenzeitlich rund 20 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar verloren. Ein Ölmulti hat im Golf von Mexiko die größte Umweltkatastrophe seit dem 2. Weltkrieg verursacht, und bei einer israelischen Militäraktion zur Durchsetzung einer fragwürdigen Blockade wurden neun Menschen getötet.

Querformat

Das iPad hat an all dem nichts geändert und wir sollten daher auf dem Boden bleiben, wenn wir die Vorzüge und Nachteile dieses "magischen" Geräts erörtern. Fangen wir bei einer oft beklagten, angeblichen Schwachstelle an, und das ist seine Tastatur. Diese erscheint, nach iPhone-Art, im unteren Bildschirmteil und ist, wenn man das iPad im Querformat benutzt, so groß wie die übliche Tastatur eines Notebooks, sieht man davon ab, dass Umlaute, Satzzeichen oder Ziffern nur mittels Umschalttasten geschrieben werden können.

Schneller

Mit dieser Tastatur ist dieser Text geschrieben und ich kann berichten, mit einer "richtigen" würde es schneller und etwas fehlerfreier gehen. Man kann eine solche anschließen, als Zubehör über ein Dock, mit dem sich das iPad in einen Hochformat-Schirm wandelt, oder einfach mittels Bluetooth, und für längere Texte empfiehlt sich das auch.

Aber was heißt schon Schwachstelle? Die allermeisten Texte, die auf dem iPad geschrieben werden, haben die Länge von Tweets, Mails, Google-Suchen oder Facebook-Updates und dafür ist dieses Keyboard nicht schlechter als das eines Netbooks, oder - schluck - gar eines Handys. Mein Kollege, Standard-Karikaturist Oliver Schopf, verfällt in Elogen wenn er seine "Ölmalerei" mit den Fingern beschreibt, worüber wiederum sein Kollege, der Maler David Hockney ähnlich begeistert ist, und welches Keyboard könnte wiederum damit konkurrieren.

Das iPad wächst einem zu

Das iPad wächst einem zu, diese Erfahrung beschreibt wohl am besten den Real-Life-Test der vergangenen zwei Monate. Für den persönlichen Gebrauch ist es das bevorzugte Instrument geworden, zum Netzlesen beim Frühstück, bei Kaffeepausen oder auch beim Fernsehen am Abend (ja, Männer können multitasken, zumindest in begrenztem Ausmaß). Um den Fluss von Mails, Tweets und Facebook untertags zu verfolgen dient es, und interessante Erfahrung: als zusätzlicher Bildschirm, als persönlicher digitaler Raum, auch wenn man am Schreibtisch am Notebook sitzt und seine Arbeit erledigt. Es erinnert mich dabei an die Zeit als ein Filofax der intimste Begleiter des tätigen Menschen war, und einige Apps wie der Kalender, das Adressbuch oder eine von mir verwendete To-Do-Liste lehnen sich in ihren Designs auch an diese vergangene Zeit analoger Organizer an (wobei dies eine ebenso fragwürdige ästhetische Entscheidung ist wie der Ikea-Look des iBook-Stores).

Aber all das reduziert das iPad zum Arbeitsgerät und greift zu kurz. Vor einigen Tagen wandelte es sich in ein Fotoalbum, um auf der Couch zu zweit Bilder vom einem langen Wochenende in Kopenhagen anzuschauen, und dann noch gleich von der Reise davor und vom Geburtstagsfest. Wenn dieser Bericht beendet ist wird es zum Videoplayer mutieren für ein paar TV-Serienteile, die bei iTunes gekauft wurden. In all diesen Fällen brilliert er mit seinem exzellenten Display. Für Film und Video ist es ein natürliches Medium, und es wundert darum auch nicht, dass Reuters, der Guardian und andere Apps mit fantastischem Fotojournalismus anbieten.

Benachteiligt

Dasselbe Display ist dafür in sehr hellem Licht oder gar in der Sonne gegenüber einem E-Reader mit reflektivem Display benachteiligt. Nicht, dass es ganz unmöglich wird das iPad in diesen Lichtverhältnissen zu benutzen, aber Bücher lesen, Filme schauen wird schwierig. Ein wenig Schatten tut dann gut, und wo es dann schummrig wird wie beispielsweise in einem abgedunkeltem Flieger, wo der Kindle bereits aufgeben hätte müssen, kommen die Vorzüge wieder ganz zur Geltung.

So wie für stille oder bewegte Bilder ist das iPad wie gemacht zum Internetkonsum. Das Wort vom Konsum ist bewusst gewählt, denn auch aktive Web-2.0-User empfangen, lesen und surfen deutlich mehr als sie selbst produzieren. Websurfen nähert sich dem Gebrauch eines Magazins, man hält das Gerät am Schoß oder legt es leicht schräg mit dem von Apple selbst gebauten Umschlag vor sich auf den Tisch.

Kein Flash, und das wohl dauerhaft nicht

Hier ist die Stelle, an der das große Aber kommen muss: Kein Flash, und das wohl dauerhaft nicht. Die interessante Alltagserfahrung dazu: Es kommt ganz darauf an, was man so macht online. Dieser Rezensent etwa ist kein Freund von Farmville und anderen Spielen auf Facebook, darum fehlt ihm dabei Flash nicht. YouTube läuft schon seit Jahren auf dem iPhone und damit auch auf dem iPad, womit auch zahlreiche eingebettete Videos auf Webseiten funktionieren. Dafür fehlen mir Slideshows auf Flickr (für das eine App ähnlich wie für Picasa zu erwarten ist). Ein wirkliches Ärgernis ist das fehlende Flash nur für den, der ständig Seiten besucht, die darauf aufbauen.

Andere Eigenheiten stören mehr. Das ist u.a., für meine Art der Benutzung, das Fehlen einer transparenten, zugänglichen Dateistruktur. Jedes Programm speichert seine Dateien selbst ab, und der Zugriff erfolgt immer über dieses Programm, ist anderen nur begrenzt oder nicht möglich. Viele wird dies nicht irritieren, geübtere Benutzer schon. Auf der Plusseite: Speichern ist ein Fremdwort, Apps wie Pages (Apples Textverarbeitung) oder Mail speichern jede Eingabe automatisch. Warum ist dies eigentlich auf so genannten richtigen Computern nicht längst Standard?

Die anderen angeblichen Mängel

Dann gibt es noch die anderen angeblichen Mängel, die pflichtgemäß zu notieren sind: Das Fehlen einer Kamera für Videochats, was aber nur der vermisst, der das auch tut. Man kann keinen USB-Stick anschließen, wobei ich auch nicht wüsste wozu - man kann allerdings mittels einem Kameradock Kameras anschließen oder SD-Speicherkarten einlesen. Das kostet extra, was oft bemängelt wird, wie auch Apples überaus praktischer Umschlag der zugleich Schutz, Unterlage und Ständer zum Anschauen von Filmen und Videos ist. Es fällt schwer dies zu kritisieren, weil es bekannte Tatsachen sind: Das Teil hat seinen Preis, ebenso wie Zubehör und Apps. Für Apple und Dritthersteller ist das ein Geschäft, für User ein Aufwand, aber man muss ja nicht.

Braucht man ein iPad?

Braucht man ein iPad? Nein, ein Notebook deckt alle diese Funktionen ab und noch viele mehr, aber es ist eben ein anderes Gerät, eine andere Art der Nutzung, und vor allem was Medien betrifft: eine weniger persönliche, weniger praktische, weniger leichte. Meine Vermutung für die nächsten dreieinhalb Monate: Mit der Zeit wird das Notebook immer öfter daheim bleiben, wenn man nicht nur zur Arbeit unterwegs ist. Der User hat eben immer wieder eine interessante Art der Anpassung an seine Gadgets gezeigt, wenn nur der Zusatznutzen groß genug ist. Aber Krisen und Katastrophen wird es auch bis dahin nicht verhindern. Magie ist eben ein relativer Begriff.  (Helmut Spudich/ derStandard.at, 25. Juni 2010)