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Unsere Vorfahren sollen agiler gewesen sein

Foto: APA/Frank Mächler

Jagen, Sammeln - den Hunger stillen mit dem, was vor den Speer oder in die Finger kommt. Den Gedanken sich nur von dem zu ernähren, was in der Natur vorkommt, haben die Vertreter der Neandertalerdiät aufgegriffen. Für sie sind verarbeitete Speisen wie Brot, Nudeln oder gar Fertigprodukte Tabu, auch wenn sie heute statt dem Jagdgerät nur mehr Geldscheine benötigen. Der "stein-alte" Ernährungsstil soll Krankheiten kurieren, Übergewicht reduzieren und erfreut sich aktuell ganz besonders extremer Auswüchse innerhalb einer wachsenden Bewegung in den USA.

Hauptsächlich Obst und Gemüse, Nüsse, Fleisch und Fisch essen die Vertreter der auch Paleodiät genannten Ernährungsphilosophie - basierend auf den Annahmen, was die Menschen in der Altsteinzeit zu sich genommen haben. Milch und - darüber gehen die Meinungen auseinander - pflanzliche Öle stehen nicht am Ernährungsplan der Diätwilligen. Sie kommen auf eine mehrfache Menge an Ballaststoffen und Proteinen und weniger Kohlenhydrate.

"Keine Diät"

Für Bernhard Ludvik, Leiter der Stoffwechsel- und Diabetesambulanz der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel am Wiener AKH ist die Neandertalerdiät nur "ein Trend, der in Wirklichkeit nichts anderes ist, als eine eiweißbetonte Diät - mit dem Aufhänger nur das zu essen, was natürlich verfügbar wäre." Die Diätologin Andrea Haupt sieht darin eine "populistische Ernährungseinstellung", für deren positive Effekte es jedoch keiner Diät bedarf: "Gut daran ist, dass weniger industriell verarbeitete Lebensmittel gegessen werden und dadurch auch weniger künstliche Zusatzstoffe enthalten sind."

Theoretisch positiv ist der Ansatz mehr Obst und Gemüse in roher und gekochter Form zu essen. Empfohlen werden acht Portionen davon täglich - "tatsächlich schwierig einzuhalten, bedenkt man, dass die Österreicher nicht einmal die laut Österreichischem Ernährungsbericht empfohlenen fünf faustgroßen Portionen schaffen", befürchtet Haupt. Schon alleine durch diese Ernährungsumstellung würde man aber etwas abnehmen. Allerdings müsse man zusätzlich - genau wie die Neandertaler - auch mehr Bewegung machen um wirklich gute Effekte zu erzielen.

Unabgeschlossener Adaptionsprozess

Die Neandertalerdiät wurde schon von den verschiedensten Vertretern aufgegriffen und weiterentwickelt. Walter L. Voegtlin hat sich in den 1970ern in seinem Buch "Steinzeitdiät" damit auseinandergesetzt, in den 1980ern nahm Boyd Eaton die Idee auf, in den 1990ern Loren Cordain und Nicolai Worm. Die Theorie der Steinzeiternährung geht davon aus, dass der menschliche Körper in den vergangenen Jahrtausenden zu wenig Zeit hatte sich an die heute gängigen Lebensmittel anzupassen und sich daher Zivilisationskrankheiten entwickelten. Unsere frühen Vorfahren waren angeblich auch leistungsfähiger.

Einfluss auf den Stoffwechsel

In den USA hat sich der Diabetes-Patient Ray Audette scheinbar mit der Paleodiät geheilt. In seinem Buch "Neanderthin - Eat Like a Caveman to Achieve a Lean, Strong, Healthy Body" beschreibt Audette seine Erfahrungen. Von Heilung will Diätologin Haupt hier aber nicht sprechen, das sei gefährlich: "Was gut möglich sein kann, ist die Besserung des Blutzuckerspiegels eines Typ2-Diabetikers - wenn er durch die Ernährungsumstellung und mehr Bewegung abnimmt. Allerdings braucht er dazu keine Neandertalerdiät." Ähnlicher Meinung ist auch Stoffwechselexperte Ludvik: "Diabetes kann man durch Gewichtsreduktion bessern." Kohlenhydrate hingegen seien nicht gut, vor allem nicht Kartoffeln, denn die steigern den Blutzuckerspiegel. Das erkläre auch, warum Audette mit seiner Ernährungsumstellung erfolgreich war. Der Mediziner gibt aber auch zu bedenken, dass durch den erhöhten Fleischkonsum bei der Paleodiät gleichzeitig auch vermehrt gesättigte Fette aufgenommen werden - und das ist so gar nicht im Sinne gesunder Ernährungsempfehlungen. Dazu kommt, dass gesunde pflanzliche Öle mit mehrfach ungesättigte Fettsäuren von manchen Vertretern gemieden werden.

Noch einen Haken sieht Ludvik bei näherer Betrachtung: Wie bei vielen anderen Diäten sei das mühsam abgenommene Gewicht bald danach wieder auf den Hüften und das sei vorprogrammiert, denn "die Neandertalerdiät ist nicht dauerhaft durchführbar". "Für keine Diät ist der Langzeiteffekt in Studien nachgewiesen."

Die neuen "Cavemen"

Ganz neue Blüten treibt das Thema derzeit in den USA: Die New York Times berichtete kürzlich über die Anhänger, der so genannten "Caveman"-Bewegung. Sie leben in einem Zyklus von Fleisch- und Fastenperioden. Auch sie ernähren sich von Gemüse und Früchten und großen Mengen Fleisch - mit dem Unterschied, dass bis zu nächsten Nahrungsaufnahme lange fasten. Auch an ausreichende Bewegung ist gedacht: die "Cavemen" von New York halten sich mit Laufen und Springen fit - ganz so wie unsere Vorfahren es bei der Jagd getan haben. (derStandard.at, 25.2.2010)