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Überaktive Nervenzellen beruhigen sich unter dem Einfluss von Alkohol.

Foto: APA/Franka Bruns

Die Unfähigkeit aus einem Glas zu trinken oder eine Suppe zu löffeln macht Verabredungen zum Essen zur Qual. Menschen mit essentiellem Tremor wissen solche Situationen zu meiden, beginnen doch ihre Hände zu zittern sobald sie die Arme nach vorne bewegen. Als Haltetremor bezeichnen Neurologen diese Variante des pathologischen Zitterns. Frequenz und Amplitude variieren dabei.

„Früher wurden alle essentiellen Tremorarten als gutartig tituliert", weiß Carl Nicolaus Homann, Tremorspezialist an der Universitätsklinik für Neurologie der medizinischen Universität in Graz. Der Begriff „gutartig" ist im Fall von Bewegungsstörungen missverständlich, hat er doch nichts mit der Gutartigkeit von Tumoren gemeinsam. Ein Tremor ist dann als benign zu begreifen, solange er das Leben des Betroffenen nicht wirklich behindert. „Der klassische essentielle Tremor verläuft progredient. Wird die Amplitude zu groß, dann ist löffeln oder trinken praktisch nicht mehr möglich", beschreibt Homann den Moment, in dem der per se harmlose Tremor seine Gutartigkeit verliert.

Überaktive Nervenzellen im Kleinhirn

Die Symptome der häufigsten neurologischen Bewegungsstörung sind in neurologischen Lehrbüchern ausführlich beschrieben, über die Pathogenese des essentiellen Tremors findet sich wenig. Immerhin glauben Experten zu wissen, dass sich die Ursache der Erkrankung im Kleinhirn (Cerebellum) verbirgt. Der Beweis dafür wurde mit Hilfe funktioneller radiologischer Bildgebung erbracht. Das fMRI (funktionelle Magnetresonanztomografie) zeigt im Cerebellum dieser Patienten pathologisch überaktive Nervenzellen.

Jeder Mensch zittert dann und wann einmal. Ein physiologisches Phänomen, das primär mit Kälte, Angst oder Aufregung assoziiert ist und sich bei gelegentlichem Auftreten relativ leicht vom krankhaften Zittern abgrenzen lässt. Wesentlich schwieriger ist die Differenzierung pathologischer Tremorformen, denn nicht alles was zittert ist ein Morbus Parkinson. „Der Parkinsontremor ist im Unterschied zum essentiellen Tremor ein typischer Ruhetremor. Mit der Dauer der jeweiligen Erkrankung verschwimmen jedoch die Grenzen, was Verwechslungen mitunter erklärt", so Homann.

Normalisierung unter Alkoholeinfluss

Als Bewegungsstörungsspezialist und erfahrener Neurologe tut sich Homann einigermaßen leicht. Meist stellt er die endgültige Diagnose bereits anhand der klinischen Untersuchung. Einen wichtigen Hinweis liefert ihm dabei immer die Frage nach dem Alkoholkonsum. „Die Alkoholgeschichte ist für den essentiellen Tremor pathognomonisch", sagt Homann, weiß jedoch nicht zu begründen, warum das Zittern nach einem Gläschen Rotwein mitunter verschwindet. Die funktionelle Magnetresonanztomografie offenbart nur, dass sich die Aktivität der betroffenen Nervenzellen im Kleinhirn unter Alkoholkonsum normalisiert.

In Hinblick auf die Prävalenz ist der essentielle Tremor dem Parkinsontremor deutlich überlegen, trotzdem bekommt Homann ersteren relativ selten zu Gesicht. Der Wiener Neurologe glaubt zu wissen warum: „Entweder die Patienten werden vom Hausarzt fälschlich als Morbus Parkinson diagnostiziert und finden deshalb nicht den Weg zum Neurologen, oder aber der Verlauf ist so milde, dass die Patienten darauf verzichten einen Arzt aufzusuchen".

Abgrenzung von anderen Erkrankungen

Was den essentiellen Tremor angeht, ist das nicht weiter schlimm, denn diese Bewegungsstörung ist ungefährlich. Egal ob die Prognose früher oder später gestellt wird, für die Lebenserwartung der Betroffenen bleibt das ohne Konsequenz. „Das Problem ist nur, es gibt noch andere Erkrankungen, die dem essentiellen Tremor symptomatisch sehr ähnlich sind und durchaus behandlungsbedürftig wären", weiß Homann und erwähnt unter anderem den Morbus Wilson. Diese fortschreitende Veränderung im Gehirn wird auch als Kupferspeicherkrankheit bezeichnet. Unbehandelt führt sie innerhalb weniger Jahre zum Tod.

Ob eine frühzeitige Diagnose und Therapie der Progression des essentiellen Tumors vielleicht doch Einhalt gebietet, wird unter Experten diskutiert, ist aber wissenschaftlich nicht bewiesen. Fakt ist nur, dass das Leiden der Patienten reduziert werden kann. „Viele der Betroffenen sprechen auf eine medikamentöse Therapie mit Betablockern oder Primidone sehr gut an", erklärt der der Neurologe. Ist das Zittern besonders schwer, dann kommt auch die chirurgische Intervention in Betracht. Tiefe Hirnstimulation nennt sich das Verfahren, bei dem eine implantierte Elektrode im Gehirn die motorischen Fähigkeiten und damit die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert. (derStandard.at, 17.03.2010)