Maria Vassilakou holt Ex-Bundesparteichef Alexander Van der Bellen nach Wien. Und würde ihm notfalls den Vizebürgermeistersessel überlassen: "Für mich gibt es in dieser Frage keine Tabus."

Cremers Photoblog: Bei Maria Vassilakou

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Standard: Bei der Volksbefragung hat sich eine klare Mehrheit gegen die Citymaut ausgesprochen. Haben die Grünen da ihr eigenes Projekt zu wenig beworben?

Vassilakou: Das, was hier gefragt wurde, hat überhaupt nichts zu tun mit dem Citymaut-Modell der Wiener Grünen. Die SPÖ hat eine fundierte, breitangelegte Debatte über ein konkretes Wiener Citymaut-Modell im Keim erstickt. Und damit sind wir beim Kern des Problems: Wenn die SPÖ ihre Arroganz beiseite gelegt hätte und eine ernst gemeinte Volksbefragung initiiert hätte - unter Einbindung aller Oppositionsparteien -, dann hätten wir auch eine andere Wahlbeteiligung erreicht.

Standard: Die Grünen konnten aber offenbar nicht einmal genügend eigene Wähler zur grundsätzlichen Abstimmung über die Citymaut mobilisieren. Landet das Konzept nun zumindest bis nach der Wahl in der Schublade?

Vassilakou: Wer wie die SPÖ einsam an der Spitze agiert, erntet maues Interesse. Die Citymaut ist aber alles andere als gestorben. Ich fühle mich überhaupt nicht an die Tricks des Herrn Bürgermeisters gebunden, mit denen er versucht, den SPÖ-Wahlkampf einzuläuten. Wir werden weiterhin für die Citymaut an der Stadtgrenze werben, wir werden weiterhin die Bevölkerung nach Kräften informieren - und eines Tages werden wir vielleicht auch endlich so weit sein, dafür eine Mehrheit im Rathaus zu finden.

Standard: Warum ist den Wiener Grünen das Projekt Citymaut so wichtig?

Vassilakou: Es macht einen Unterschied, ob du die Stadt aus den luftigen Höhen der Dachausbauten oder den Grinzinger Hanglagen erlebst oder aus dem ersten Stock mitten in der Verkehrshölle Gürtel. Ich will Lebensqualität für alle. Ein Weg dorthin ist die Citymaut.

Standard: Besonders viele Grün-Wähler wohnen aber nicht im ersten Stock am Gürtel. Wie wollen Sie diese Menschen erreichen?

Vassilakou: Wenn wir heute 40 Prozent Wiener Haushalte haben, die am Monatsende 200 Euro weniger haben, als sie brauchen, zeigt das, mit welchen finanziellen Problemen die Mittelschicht zu kämpfen hat. Es wird darum gehen, wer am konsequentesten die Armut bekämpft. Und es gibt nunmal nur eine Partei, die seit zehn Jahren konsequent die Grundsicherung fordert und darauf hinweist, dass wir tausende sichere Arbeitsplätze schaffen, wenn wir in Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energie investieren.

Standard: Schließen Sie aus der relativ geringen Beteiligung an der Volksbefragung, dass die SPÖ die absolute Mehrheit verlieren und sich möglicherweise Rot-Grün ausgehen könnte?

Vassilakou: Ich gehe davon aus, dass die SPÖ die Absolute verlieren wird. Und ich denke, der Stadt kann nichts Besseres passieren. Denn wenn eine Par-tei mit alleiniger Macht regiert, dann kann es sein, dass sie sich irgendwann einmal Allmachtsfantasien hingibt. Was in der Wirtschaft gilt, nämlich das Vieraugenprinzip, wäre auch für die Politik gut.

Standard: Und die Grünen würden gern die anderen zwei Augen zur Verfügung stellen?

Vassilakou: Selbstverständlich wäre es auch mit uns möglich. Wir dürfen uns aber nicht zurücklehnen und glauben, dass der Verlust der Absoluten eine gegessene Sache ist.

Standard: Wie wollen Sie die SPÖ dazu bringen, mit den Grünen statt mit der ÖVP zu koalieren?

Vassilakou: Mit einem guten Wahlergebnis, was sonst?

Standard: Dass die Grünen die ÖVP überholen werden, ist aber eher unwahrscheinlich.

Vassilakou: Auf Wiener Ebene braucht es 50 und ein Mandat. Die Frage, die ich den Wienern nun stelle, ist: Wollen wir einen Neubeginn für die Wiener Politik? Eine Regierung, die Reformkraft haben wird, oder will man die Stagnation - so wie man sie von Rot-Schwarz aus dem Bund kennt - auch auf Wien übertragen? Ich weiß aus unseren repräsentativen Erhebungen, dass sich die Mehrheit der Wiener ein Erneuerungssignal wünscht. Und dass Rot-Grün derzeit die beliebteste Regierungsform in Wien ist. Das macht mich zuversichtlich.

Standard: Alexander Van der Bellen lässt sich in Wien aufstellen. Wären Sie als Parteichefin dazu bereit, ihm im Fall des Falles den Vizebürgermeister-Sessel zu überlassen?

Vassilakou: Ich werde jetzt sicher noch keine Regierungsposten verteilen. Das Einzige, was ich heute schon dazu sagen kann, ist: Für mich gibt es in dieser Frage keine Tabus. (Martina Stemmer, DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2010)