Der 61-jährige Poet Gil Scott-Heron setzt mit dem Album "I'm New Here" seine Chronik des schwarzen Amerika fort.
Ein Altvorderer des Rapgesangs ist zurück.

 

 

Foto: XL Recordings / Edel

Christian Schachinger freut sich.

Eigentlich hatte man den Mann schon abgeschrieben. Wer den US-Soulpoeten in den 1990er-Jahren live auf diversen Festivals erlebte, musste sich ernsthafte Sorgen um seine Gesundheit machen. Jahrzehntelange Probleme mit harten Drogen hatten ihn zum sprichwörtlichen Wrack gemacht. Obwohl Gil Scott-Heron in heutigen Klassikern wie The Bottle oder Angel Dust sehr präzise den Verfall der (afroamerikanischen) Gesellschaft anhand von Suchtgiften beschrieb, war er schließlich selbst zum Abhängigen geworden.

Im Jahr 2000 wurde er zu einer ersten Gefängnisstrafe verurteilt, weil er sich weigerte, sich einer Drogentherapie zu unterziehen. 2003 wurde er am Flughafen La Guardia in New York erneut wegen des Besitzes von Kokain und Crack festgenommen. 2006 wanderte er für zwei Jahre ins berüchtigte Gefängnis Rikers Island. Auf diesem konsequenten Weg nach unten drohte eine der wichtigsten Stimmen der afroamerikanischen Musik für immer zu verstummen. Zumal man bei Gil Scott-Heron auch noch eine HIV-Infektion diagnostizierte.

Dass sich der 61-jährige New Yorker nun nicht nur als Live-Musiker (ein Wienkonzert ist für kommenden Mai in Planung), sondern auch mit neuem Album zurückmeldet, muss deshalb durchaus als kleines Wunder betrachtet werden. Besonders auch, weil Gil Scott-Heron zwar alte Motive und Themen aus seiner künstlerischen Geschichte wiederaufgreift, dank eines jungen Produzententeams aber durchaus zeitgenössische Sounds und Stile in seine Spoken Poetry einarbeitet.

Das neue, selbstironisch I'm New Here betitelte Album dokumentiert so auf dem ansonsten für jüngere Acts wie die Rave-Altväter The Prodigy, den rasend modernen HipHop von Dizzie Rascal oder der Bluesrock-Geschichtsstunde von The White Stripes bekannten Londoner Label XL Recordings Nachhilfe für eine Hörerschaft, die bei Veröffentlichung von Gil Scott-Herons erstem Album 1970 noch gar nicht auf der Welt war. Nach seinem Debütroman The Vulture (Der Aasgeier) ging er gemeinsam mit Jazzgrößen wie Ron Carter oder Eddie Saunders ins Studio und nahm mit Small Talk at 125th & Lenox Ave. ein stilprägendes Debütalbum auf.

Er vertonte mit rhythmischem Sprechgesang, also einer klaglos als Vorstufe heutiger Raps geltenden Technik eigene Spoken-Poetry-Texte wie den Klassiker The Revolution Will Not Be Televised, ein zentrales Statement der afroamerikanischen Szene, das mit seiner Kapitalismus-, Medien- und Sozialkritik bis heute nicht nur zigfach zitiert wurde, unter anderem auch von den radikalen New Yorker Polit-HipHoppern Public Enemy. In diesem auf düsterer Soul- und Funkbasis fußenden, perkussiven Song gelangt die künstlerische Größe Gil Scott-Herons auch schon zu einem frühen Höhepunkt.

Neben einem zweiten Roman namens The Nigger Factory folgten weitere überzeugende Arbeiten wie Pieces Of A Man, Winter In America, From South Africa To South Carolina und zuletzt 1994 das Album Spirits mit seinem den Gangster- und Neureichen-HipHop der eigenen Community anklagenden Stück Message To The Messengers.

Mit noch tiefer wie früher grummelndem Donnerbariton setzt Gil Scott-Heron auf I'm New Here zwar gezeichnet, aber nach wie vor zornig die alte Arbeit fort. Als "Chronist des entrechteten Amerika" betreibt er nicht nur unermüdlich weiter Sozialkritik - oder kommentiert scheinbar lapidar den Niedergang der westlichen Zivilisation. Me And The Devil, der zentrale Song des Albums, eine mit düsteren Beats im Stile Massive Attacks rollende Paraphrase auf einen alten Titel des Country-Blues-Gevatters Robert Johnson, ist eine Teufelsaustreibung anhand der eigenen Biografie: "Early this morning, when you knocked upon my door, I said: Hello, Satan, I believe it's time to go ..."

Dunkler, bedrohlicher Dub wird hier mit zischender und Gift und Galle spuckender Laptop-Elektronik kombiniert. Stücke wie Where Did The Night Go oder das auf Handclaps, Gospelchor und verzerrten Countryblues-Samples basierende New York Is Killing Me passen in das Programm jeder heutigen Dubstep-DJs.

Ein Großer der Musikgeschichte kehrt hier mit einem Album zurück, an dem er möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht entscheidenden Anteil an der Musik trägt. Dank der giftigen Texte und seines Produzenten Richard Russell ist es allerdings auch keine Retrospektive auf bessere Zeiten geworden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.2.2010)