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Die hohe Kunst des seligen Innehaltens will beherrscht sein: Dirigent Georges Prêtre auf der erfolgreichen Suche nach dem magischen Walzer-Moment.

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Wien - Es lässt der alte Herr auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz eine gewisse Vorsicht walten. Kaum dort angekommen und die Klänge in Gang gesetzt, ereignet sich bei ihm allerdings eine wundersame Transformation zum quirligen, jungen Herrn, zu einer von der Musik immer wieder neu geformten, sehr lebendigen Dirigierskulptur. Sie zieht die Noten gleichsam aus den Streichern heraus, oder sie umarmt Töne. Sie stampft ganzkörperlich im Rhythmus, und sie wiegt die Musik auch gerne im Arm wie ein Baby. Unerschöpflich ist bei dem Routinier aus Frankreich die Bandbreite des mimisch-gestischen Ausdrucks.

Das Entscheidend-Schöne aber bei Georges Prêtre, der heuer zum zweiten Mal das wohl global präsenteste Klassikkonzert dirigiert: Er nimmt diese Musik sehr ernst, sie geht ihn etwas an, und er will sie formen. Ein sympathischer Zug, der an diesem ersten Vormittag des neuen Jahres durchaus viele vor dem Einnicken bewahrt.

Wie oft hatte man im Laufe der Jahre bei Neujahrsdirigenten ja das Gefühl, da käme ein großer Name quasi nur vorbei, um sich ein paar nette Tage in Wien und dabei dirigierend auch den Klang der Philharmoniker zu gönnen. Wobei: Natürlich ist Prêtre auch ein Genießer; aber eben einer auf der Suche nach jenem magischen, seligen Etwas in dieser Musik. Er findet es im Klang, der auch bei ihm keine besondere Doppelbödigkeit (wie etwa bei Harnoncourt) aufweist. Er findet es aber, und da kommt Prêtre ganz zu sich, auch über einen großzügigen Umgang mit der musikalischen Zeit.

Elegantes Binden von Ideen

Es ist denn auch so markant wie schön, wie Prêtre bei der Fledermaus-Ouvertüre die langsamen Stellen innehaltend auskostet, wie er Poesie erzeugt, indem er die Philharmoniker auch zu grazilem Legatospiel animiert und zum ausgiebigen Aussingen der Phrasen. Zudem: Elegant bindet er Episoden, er lässt sie ineinander übergehen und erzeugt damit eine nicht nachlassende Spannung. Intimes Schweben herrscht da vor; bei seinem ersten Antritt 2008 war dies nicht immer der Fall: Das Zierliche wirkte mitunter geziert und etwas träge. Diesmal jedoch immer authentisch und wach, trotz der im Zweifelsfall eher langsamen Tempi.

Zweifellos einer der Höhepunkte war Offenbachs Rheinnixen-Ouvertüre: Da ging es gehörig in die Werktiefe; mit extrem zurückgenommener Dynamik erreicht Prêtre (mit Hilfe des Klanges) glühende, dunkle Unmittelbarkeit; und auch die Gesamtbalance stimmte: Als großer Kontrastkünstler verstand Prêtre es, auch die "fetzigen" Momente zu ihrem Recht kommen zu lassen. Sei es bei der Nikolai-Ouvertüre Die lustigen Weibern von Windsor, sei es beim Morgenblätter-Walzer.

Natürlich müssen schon Werke auf dem Programm stehen, die den Interpreten auch inspirierend "reizen". Wo dies nicht der Fall ist, erlebt man ein nettes Konzert mit einer lustigen Polka Im Krapfenwaldl, einer gediegenen Champagner-Polka und der soliden Schöne-Helena-Quadrille. Hier wirkt das Orchester wie eine gut funktionierende, virtuose Maschine und Prêtre wie der freundlich überwachende Ingenieur.

Blumenstrauß aus Gewehr

Kurzum: Am stärksten die Wirkung, wo es um das Selige ging und die Suche nach etwas Tiefe auch Werk-möglich war. Da verschmolz Prêtres Ästhetik mit dem glühenden Sound der Philharmoniker delikat und sinnstiftend.

Was sonst noch geschah? Der Gagfaktor hielt sich in Grenzen: Einmal schenkten sich manche Musiker Sekt ein, dann schoss Prêtre mit einem Gewehr, aus dem ein Blumenstrauß kam. Und bei Perpetuum mobile ging er mitten in der Musik ab, um bald zurückzukehren und das Ganze mit einem Harald-Serafin-Zitat ("Wunderbar!") zu beenden. Zeuge des in Summe letztlich wunderbaren Konzertes war auch Ex-James-Bond Roger Moore.

So wie er applaudierte, wird er auch nächstes Jahr dabei sein, wenn Franz Welser-Möst, wie exklusiv berichtet, das Neujahrskonzert leiten wird. Welser-Möst wird dann 50 sein - etwa so alt wie die philharmonische Partnerschaft mit dem Überraschungs-Künstler Pretre. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.01.2010)