Kanzlerfunk? Werner Faymann und der ORF. Das neue Gesetz ändert nichts an den Gremien, das bringt eine rote Mehrheit.

Foto: STANDARD/Cremer

"Eine Regelung, die derartige Konsequenzen zeitigt, ist unsachlich und daher verfassungswidrig": So beurteilt Verfassungsrechtler Heinz Mayer einen Punkt im neuen ORF-Gesetz: „Sie führt nämlich dazu, dass einer gesetzlichen Verpflichtung - dem öffentlich-rechtlichen Auftrag - nicht voll entsprochen werden kann."

Mayers Gutachten für den Zentralbetriebsrat des ORF liegt dem STANDARD vor. Der Jurist knöpfte sich eine Bedingung von SPÖ und ÖVP für die Abgeltung von Gebührenbefreiungen vor. Die 160 Millionen Euro über vier Jahre erhält der ORF nur, wenn er substanziell spart und Personalkosten auch pro Kopf strukturell reduziert. Weil der ORF aber laut geltendem Recht schon „sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig" wirtschaften muss, bleibe bei dieser neuen Bedingung "nur über, die Leistung ebenfalls zu reduzieren", findet Mayer: "Dies muss zwangsläufig dazu führen, dass der ORF die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags einschränken muss."

Der Zentralbetriebsrat kritisiert am Gesetzesentwurf noch die „übermächtige Stellung" der Medienbehörde. Er vermisst „eine dringend nötige Reform der ORF-Gremien", eine „deutliche Verkleinerung des Aufsichtsrats. Dort will er ein Drittel Belegschaftsvertreter. Und einen „pluralistischeren" Rundfunkrat. 45 Prozent Frauenquote begrüßt der Betriebsrat.

"Totalverlust" für Private

Die Frauenquote auch für ORF-Gremien dürfte der Redakteursrat verlangen. Er schickt seinen Kommentar zum Entwurf diese Woche dem Kanzleramt. Kritikpunkte lassen sich aus bisherigen Forderungspapieren ableiten: Oft schon forderte er ein völlig neues Aufsichtsgremium, dessen Mitglieder ihre Qualifikation dafür öffentlich nachweisen müssen. Und das Generaldirektoren und Direktoren wie im Aktienrecht wählt: Eine Mehrheit der Kapitalvertreter ist dort ebenso nötig wie eine im gesamten Gremium (mit einem Drittel Betriebsräte). Medialen Sachverstand verlangt der Redakteursrat von der Medienbehörde - dass ausschließlich Juristen sie bilden sollen, reiche nicht.

Da deckt sich die Kritik des ORF-Redakteursrats mit jener von Stiftungsräten und Zeitungsverband VÖZ, der technischen Sachverstand in die Behörde reklamiert. Er verlangt auch eine Klausel, damit keine ORF-Mitarbeiter direkt in die Behörde wechseln.

Für die Verleger ist der Entwurf wie berichtet "nicht EU-konform". Er lasse große Schlupflöcher und Ausnahmen etwa beim Aufbau von Finanzreserven und der Finanzkontrolle, bei Vorabprüfung von Onlinediensten, inbesondere ihrer „Marktverträglichkeit", durch die Medienbehörde, bei „weiteren Onlineangeboten", bei der Verbotsliste von Webdiensten, Onlinezugriff auf archivierte Infos. Sie vermissen ein Verbot, ORF-Marken wie Ö3 und FM4 für kommerzielle Aktivitäten zu verwenden - die auch mit Gebührengeldern großgemacht wurden. Ebenso ein Verbot von Dumping mit Onlinewerbung.

Wie die Verleger kritisiert der der Privatsenderverband VÖP eine "Lockerung von Werbebeschränkungen", indem der Entwurf allgemeine EU-Vorgaben ohne strengere Regeln für Gebührensender umsetzt. Bei Product-Placements erlaube das Kanzleramt mehr als die Richtlinie. "Mit so einem Totalverlust haben wir im schlimmsten Worst-Case-Szenario nicht gerechnet", sagt Markus Breitenecker, der mit Erlösen der Werbefenster von ProSieben, Sat 1 und Kabel 1 das Programm Puls 4 finanziert. 

Private sehen den ORF ökonomisch allzu frei und nun per EU-Verfahren legitimiert. Wolfgang Langenbucher von der Zeitungsinitiative „Rettet den ORF" fürchtet einen "Regierungsrundfunk", wie „nicht einmal mehr in postkommunistischen Staaten denkbar". Die Begutachtungsfrist endet am 28. Dezember. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 22.12.2009)