"Verglichen mit St. Kathrein war Wien wie New York", so Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums und Kurator der Ausstellung "Kampf um die Stadt", die nun im Künstlerhaus Politik, Kunst und Alltag um 1930 nachspürt. In einem Raum zur "Fast-Großstadt" Wien, die auch von Wolkenkratzern träumte, nimmt der Rundgang seinen Ausgang und führt durch eine Zeit, als sich die politischen Gegensätze unversöhnlich zuspitzten und die junge Republik auf der Kippe zwischen Demokratie und Diktatur, Utopie und Resignation befand.

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Der Modernisierungsschub der 20er-Jahre stieß auch auf Widerstände, die Großstadt erschien einem Teil der Bevölkerung als bekämpfenswerter Sündenpfuhl.

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Asphalt gegen Scholle, Bubikopf gegen Gretelfrisur, Großstadtkultur gegen anti-urbane Ressentiments, das "Rote Wien" gegen das "schwarze" konservative Alpen-Österreich, beschreibt Kos den tiefen ideologischen Riss, der alle gesellschaftlichen Bereiche jener Zeit prägte. Niederschlag fand das "Halblicht der Stadt" unter anderem im Film "Café Elektric" (1927), in dem Jazz gehört und viel - auch von Frauen - geraucht wird.

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Wien war ab 1921 eine Enklave: die einzige sozialistisch regierte Metropole Europas. Das "Rote Wien" stand für ein viel beachtetes, umfassendes politisches Projekt, zu dessen zentralen Anliegen der Bau menschenwürdiger Wohnungen gehörte.

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"Luft und Sonne" lautete eine Devise der neuen, hygienischen Stadt. Für jene, die weiterhin in Zinskasernen lebten, waren die großen Bäder, darunter das kommunale Strandbad Gänsehäufel, wichtige Fluchtpunkte. "Lido der Hängengebliebenen", kommentierte die "Neue Freie Presse" 1934.

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Die Flucht aus der Stadt war auch Leitmotiv einer im frühen 20. Jahrhundert entstandenen Protestkultur und Jugendbewegung, die in der Natur eine heile Gegenwelt zur Großstadt suchte. Das Spektrum reichte von deutschnationalen "Wandervögeln" und katholischen "Neuländern" bis zu Sozialisten. Zu eine Radikalisierung rechter und christlicher Bünde kam es nach 1930: "Aus dem Wanderschritt wurde ein Marschtritt, viele Wege führten in den Nationalsozialismus."

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Ein eigener Teil der ersten Ausstellung seit langem, die sich über beide Stockwerke des Künstlerhauses erstreckt, ist den "Alpen zwischen Pathos und Mode" gewidmet. So wurden die Berge ein wichtiges ideologisches Kampfgebiet in der Agitation gegen den "Fäulnisherd" Stadt.

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Die Alpen dienten aber nicht nur konservativen und völkischen Ideologien als Projektionsfläche. Auch Belege für eine moderne Bergwelt mit Seilbahnen, Bergstraßen und Tourismus finden sich in der Ausstellung, die stark auf Images, bildkulturelle Stereotypen und politische Codes fokussiert.

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Nicht nur die Diskurse, auch die realen Kämpfe, die Schlachten auf den Straßen, in denen zwischen 1927 und 1934 hunderte Menschen ihr Leben verloren, werden thematisiert. Außer Plakaten und Fotos - 1.800 Objekte sind es insgesamt - sollen zahlreiche Filme und historische Tondokumente Eindrücke einer Zeit, "die für uns heute sehr weit weg ist", vermitteln, so Kos.

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Vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich prekären Lage stehen einander die Sozialdemokratie und bürgerlicher Rechtsblock unversöhnlich gegenüber.

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 Mit dem Brand des Justiz-Palastes 1927 kommt es zu einer weiteren Radikalisierung. Es treten bewaffnete Organisationen wie die rechte Heimwehr und der sozialdemokratische Schutzbund auf den Plan, hinzu kommen ab Ende der 20er Jahre Nazi-Stoßtrupps. Scharfe Agitation und aggressive Propaganda bestimmen zunehmend den politischen Ton.

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"Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei", verkündet 1933 der damalige Kanzler Engelbert Dollfuß. Österreich wird wenig später zu einer Diktatur.

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Neben der Politik und der Alltagswelt gilt ein weiterer Schwerpunkt der Kunst. Eine "Kunstausstellung in der Ausstellung" versammelt Hauptwerke und Raritäten unter anderem von Schlüsselfiguren wie Oskar Kokoschka, Max Oppenheimer, Alfons Walde oder Otto Rudolf Schatz. Generell gerät die österreichische Kunst aber in den 20er Jahren gegenüber Architektur, Tanz, Fotografie und Gebrauchsgrafik in die Defensive.

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Es ist auch ein Kampf E-Kultur gegen U-Kultur, der zu jener Zeit tobt. Nirgendwo ist der amerikanische Einfluss so groß wie in der Unterhaltungskultur, die zum Massenphänomen wird. Es entstehen auch in Wien Kinopaläste mit mehr als 2000 Sitzplätzen, Musik-Shows gehen in riesigen Theatern über die Bühne. Konservative sehen durch die neuen Entwicklungen abendländische Werte und Sitten bedroht.

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1928 werden zwei Bühnenerfolge in Wien Ziel von wüsten antisemitischen und rassistischen Attacken: Ernst Kreneks Zeitoper "Jonny spielt auf" und der Auftritt der schwarzen Revuetänzerin Josephine Baker, die beide als "Negerskandal" bezeichnet werden.

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"Gretlzopf statt Bubikopf" heißt es um 1930 - das Pendel ist wieder umgeschlagen, der Traum auch von erotischer Befreiung vorbei. Nach einem konservativen Kulturbruch sollte Wien schließlich den "Kampf um die Stadt" verlieren ...

Nicht als repräsentative, sondern als erkundende Ausstellung, die von Fragestellungen ausgeht, sieht Kos die Schau. Damit die Besucherinnen und Besucher für ihre Erkundungen auch genügend Zeit haben, gibt es übrigens ein besonderes Angebot: Ein zweiter Besuch der Ausstellung kostet nur die Hälfte. (glicka, derStandard.at, 18. November 2009)

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"Kampf um die Stadt - Politik, Kunst und Alltag um 1930"
Wien Museum im Künstlerhaus
Karlsplatz 5
1010 Wien

19. November 2009 bis 28. März 2010
Di bis So und Fe 10 bis 18 Uhr
Do bis 21 Uhr

Ein Katalog erscheint im Dezember.

Nähere Infos (auch zum Begleitprogramm): www.wienmuseum.at

Foto: ÖNB/Wien, Flugblätter-, Plakate- und Exlibrissammlung