EyePet (SCEE/London Studios) ist für PlayStation 3 erschienen.

Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE
Foto: SCEE

Tierliebhabern sei versichert, der sich für diesen Artikel verantwortlich zeichnende Redakteur hat nichts gegen Tiere. Er ist aber der festen Überzeugung, dass Lebewesen in Freiheit weilen sollten und in den meisten Fällen nichts in den vier Wänden eines Menschen verloren haben. Anbei also ausnahmsweise ein gewollt subjektiver Testbericht, der eine nicht zu verbergende Grundhaltung nicht verschweigen will.

Hello World

Ein Ei steht vor mir. Es wackelt hin und her. Irgendetwas tritt von innen gegen die Schale. Ich reibe es mit den Händen, damit die Temperatur nicht abfällt. Und plötzlich knackt die Schale auf.

Vor meinen Augen bricht ein Klumpen Fell heraus und fällt ungeniert auf meinen frisch geputzten Parkettboden. Was sich da langsam reckt und nach allen Himmelsrichtungen streckt, ist ein fluschiges Fabelwesen. Eine Mischung aus Kätzchen und Äffchen - ein Monchichi vielleicht? Egal was es sein soll, es scheint die optimale Kreatur zu sein, um bei möglichst vielen Menschen, möglichst rasch Mutter- und Vater-Instinkte zu wecken und die Brieftaschen zu öffnen - it's a Sony offensichtlich.

Es trägt meinen Wunschnamen und natürlich ist es nicht echt. Es steckt im Fernseher und über die auf mich gerichtete Kamera verschmelzen unsere Realitäten. Ich kann es kraulen, nach meiner Hand springen lassen und anstupsen. Ich sehe, wie es beginnt mit mir zu interagieren, wie es lacht und sich ärgert, wie es neugierig nach meinen Fingern tappst und sich langsam in mein ungläubiges Herz einschleicht.

Tamagotchi Now

Schluss jetzt mit der Gefühlsduselei, es ist doch nur ein Spielzeug und ich bin eigentlich gar nicht die Zielgruppe. Kinder sollten damit konfrontiert werden und so ist es auch von seinen Schöpfern erdacht. EyePet hat mit den Tamagotchis der 1990er-Jahre viel gemein. Es ist kinderleicht zu umsorgen, man kann es hätscheln, muss es füttern, mit ihm spielen und waschen. So manches hat sich allerdings seither schon getan. EyePet sieht mit seinen hunderten physikalisch korrekt wachelnden Haaren, seiner menschlichen Mimik und seinen natürlichen Bewegungen, wie ein schräges Geschöpf der Natur aus, das tatsächlich im eigenen Wohnzimmer herumläuft - wenngleich in diesem Fall das eigene Wohnzimmer nur eine Projektion dessen im Fernseher ist.

Lernprozess

Die Begegnung mit der dritten Art erweist sich als lehrsames Zusammenspiel. Ein zerzauster Professor überwacht die Zusammenkunft von Mensch und Kuscheltier. So erklärt er zunächst, welche Umgebung EyePet braucht, um sich entfalten zu können. Die dem Spiel beigelegte (oder separat erhältliche) PlayStation Eye-Kamera darf nicht zu hoch und nicht zu tief positioniert werden, der Raum sollte nicht zu dunkel sein. In der Praxis bedeutet dies, dass man neben der Deckenlampe auch noch eine Stehlampe oder dergleichen hinzuziehen sollte. Danach unterbreitet der Professor dem frisch gebackenen Herrchen oder Frauchen ein umfassendes Übungsprogramm, das man mit dem Schnuckelchen - oder wie man es auch nennen mag - durchziehen sollte.

Künstliche Intelligenz

Während man in den ersten Schritten lernt EyePet zu füttern, es zu waschen oder am Trampolin hüpfen zu lassen, macht man sich selbst mit der Kamerasteuerung vertraut. Es dauert seine Zeit, bis man das richtige Tempo bei den Gesten gefunden hat und mit der Reaktionsverzögerung zurechtkommt. Auf beiden Seiten findet ein Lernprozess statt, nach Absolvierung der Grundübungen sollte jedoch das Zusammenspiel recht flüssig von der Hand gehen. Beeindruckend und etwas beängstigend ist die gewollt stufenweise programmierte Lernkurve EyePets, die einem das Gefühl von Menschlichkeit vermittelt. Beispielsweise bringt man dem virtuellen Tier Zeichnen bei. Der Anweisung nach, beginnt man, mit einem gewöhnlichen Filzstift auf ein einfaches Stück Papier Autos, Elefanten oder Bäume zu zeichnen. Hält man die Zeichnung in die Kamera, registriert EyePet sie und versucht sie nachzukritzeln. Fünf Anläufe sind nötig, danach kopiert EyePet die Skizzen wie ein Grafiker und erweckt sie sogar zum Leben. Das gemalte Auto wird zum dreidimensionalen Vehikel, das man mit dem Controller wie ein RC-Car fernsteuern kann. Eine ganze Reihe an derartigen Fantastereinen wartet darauf, entdeckt zu werden.

Spiele und Bedürfnisse

Ein besonders vielseitiges Werkzeug ist die beigelegte "Magic Card", die sich über die Kamera zu allerlei brauchbaren Gadgets verwandeln kann. Etwa verwendet man sie als Trinkflasche, Haarföhn oder als Futterbecher. Auch als Bowling-Abschussrampe (EyePet mimt die Kugel) oder als Seifenblasenmaschine kommt sie zum Einsatz. Weil die Kamera-Software die Karte genau erkennt, funktioniert hier anders als beim eigenen Körper die Ortung nahezu perfekt. Das wichtigste Werkzeug ist der Gesundheitsscanner. Mit ihm kann man sein virtuelles Tier wie mit Röntgenstrahlen durchleuchten und seinen Gesundheitszustand und sein Wohlbefinden feststellen. EyePet zeigt einem andererseits auch selbst, was ihm fehlt. So holt es bei Hunger selbst den Futternapf hervor oder schaut ganz traurig, wenn es Streicheleinheiten benötigt.

Fashionvictim

Für jede gut absolvierte Übung und für positive Gesundheitsberichte an den Professor wird man mit Accessoires beschenkt, mit denen man seinen Gefährten individualisieren kann. Neben der perfekten Haarlänge und der Farbe und Musterung des Fells darf man bestimmen, welche Jacke oder welchen Hut EyePet heute trägt. Herrchen und Frauchen werden nicht bemerken, dass sie in die Barbiemanie verfallen und selbst vor dem integrierten Shop nicht zurückschrecken - gut, dass Kinder keine Kreditkarte haben. Dabei stellt sich bloß die Frage, weshalb man nicht überhaupt zwischen verschiedenen Tieren wählen kann.

Selbstverständlich fehlt es nicht an Möglichkeiten seine gemeinsamen Momente für die Ewigkeit festzuhalten. Jederzeit können Fotos geschossen oder Videos gedreht werden und als ungeschütztes JPEG bzw. MP4 auf die PS3-Festplatte exportiert werden, um sie von dort auf USB-Sticks zu spielen und in die große weite Welt zu schicken. Ein direkter Youtube- oder Flickr-Upload wären dem EyePet-Wahn wohl noch zuträglicher gewesen. Vielleicht ist dieses Manko aber auch ein Segen...

Kindergerecht

Am makellosen Äußeren merkt man schlussendlich, dass die Entwickler ganz klare ethische Richtlinien verfolgt haben oder verfolgen mussten. Nicht Männlein, nicht Weiblein muss sich EyePet seiner verdauten Nahrung nicht entledigen, macht also auch nicht einfach irgendwo hin. Sadisten werden ebenfalls enttäuscht, schlagen kann man das Kuscheltier nicht. Lediglich umstupsen ist erlaubt und etwas hungern und verdrecken lassen kann man es, bis die Fliegen kommen.

Darüber hinaus sprengt EyePet aber die Grenzen der gewöhnlichen Haustierfähigkeiten. Welcher Wastel oder welche Mieze kann schon ein Flugzeug lenken oder in einer Seifenblase in die Lüfte steigen. Was die Virtualität nicht im Stande ist zu leisten, versucht sie mit viel Vorstellungskraft und Kreativität zu kompensieren. Nachlässigkeit kann man den Erschaffern jedenfalls nicht nachsagen.

Die Technik und ihre Grenzen

Die Technik hinter EyePet streicht gleichermaßen die Schwächen der Kamera-Steuerung und deren Möglichkeiten heraus. Gezielt eingesetzt macht die Interaktion über die Kamera Spaß, Platz für Feinmotorik lässt sie aber mit der freien Hand nicht. EyePet erkennt nur an sehr groben Gesten, was der Spieler will. Die Augmentet-Reality-Elemente sind hingegen Großteils sehr fein umgesetzt worden. Es sieht dank dynamischem Schattenwurf und Tiefenunschärfe tatsächlich so aus, als würde EyePets Welt mit dem realen Umfeld verschmelzen. Die Erkennung und automatische Umwandlung von gezeichneten Gegenständen funktioniert tadellos und beeindruckt für sich. Das geht sogar so weit, dass man nur bestimmte Merkmale der Vorlagen berücksichtigen muss. Etwa muss ein Auto eine klar erkennbare Karosserie und zwei davon getrennte Reifen besitzen. Wie all dies aussieht, steht dem Zeichner aber frei. Die Magic Card verdeutlich, welches Potenzial in der Kamera-Ortung steckt. Registrierte Objekte werden extrem genau "getrackt" und geben einen kleinen, hoffnungsvollen Ausblick auf Sonys kommenden Motion Controller.

Fazit: Spiel, Gagdet oder Haustier-Ersatz?

Bei all den technischen Finessen - was ist EyePet nun? Für Kinder ist es ein lustiges und liebevoll gestaltetes Spielzeug, mit einem Herz-erwärmenden virtuellen Kameraden. Die gemeinsam zu bewältigenden Herausforderungen sind vielfältig und kurzweilig genug, um auch die ganz Jungen bei Laune zu halten. Für ältere Gamer wird der eigentliche Spielcharakter etwas zu schwach ausgeprägt sein. Die Interaktionsmöglichkeiten und Übungen sind zwar abwechslungsreich, aber nicht komplex genug um längere Zeit am Stück zu fesseln. Techies finden im digitalen Fabelwesen ein überaus smartes Gagdet. Erwachsene mit nur ansatzweise vorhandenen Mutter- oder Vater-Instinkten werden dem Charme EyePets mit Ohhhs und Ahhhs Tribut zollen.

Aber ist es tatsächlich ein Haustierersatz? Nun, für mich schon, aber ich würde auch nie ein echtes Tier in meiner Wohnung halten wollen. Von Will-Hundsi-haben-Schreien genervte Eltern könnten mit EyePet vielleicht eine günstige und pflegeleichte Kompromisslösung für ihre Kinder finden - geben Sie mir bitte Bescheid, ob das funktioniert. Ein unumstößliches Manko hat EyePet aber in jedem Fall: Es ist nicht echt und man kann es nicht angreifen und nicht spüren. Ich wiederum nehme das gerne in Kauf und bin froh, dass man es am Ende eines Tages zusammen mit dem Fernseher einfach abdrehen kann. Auch aufs Gackerl im Sackerl war ich nie scharf.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 26.10.2009)