Magaly Solier in La teta asustada

Foto: Stadtkino

Wien - Wenn Fausta (Magaly Solier) das Haus verlässt, dann weicht ihr Blick den Blicken der anderen aus. Sie bewegt sich schnell, mit leicht angezogenen Schultern, nahe an der Wand, stets darum bemüht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und möglichst schnell wieder einen sicheren Raum zu erreichen. Wenn die Angst auch dorthin vordringt, dann erhebt die junge Frau vorsichtig ihre Stimme und hüllt sich in schützenden Gesang in ihrer Muttersprache.

Fausta, eine Indigena, die in Lima bei der Familie ihres Onkels lebt, wird von einer ganz speziellen Krankheit gequält. Deren Name ist der Titel von Claudia Llosas Film: La teta asustada, die "erschrockene Brust", bezeichnet ein Trauma, welches vergewaltigte Frauen gewissermaßen über die Muttermilch an ihre Töchter weitergeben. Wie viele ihrer Generation wurde auch Faustas Mutter Opfer einer solchen Tat. Ihre Tochter lebt seit je mit der Angst, ihr könnte dasselbe widerfahren. Als äußerste Schutzmaßnahme gegen sexuelle Gewalt hat sie sich eine Kartoffel in die Vagina eingeführt. Die Triebe, die bald aus der Knolle und zwischen Faustas Beinen keimen, trimmt sie mit einer Nagelschere.

Den Arzt, der ihr dringend empfiehlt, das Gewächs zu entfernen, sucht Fausta kein zweites Mal auf. Dass der erste Mann überhaupt, dem sie nach längerem Zögern vertraut, ein älterer Gärtner ist, sollte man allerdings nicht leichtfertig als Indiz für simpel gedachte Metaphorik werten. Vielmehr entwickelt die Regisseurin und Autorin Llosa aus buchstäblich wuchernden Motiven wie diesem, mit musikalischen Sequenzen und in kunstvoll arrangierten, farbkräftigen Bildern eine eigene, offene Form des Erzählens.

Im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale, am Ende des Bewerbs platziert, setzte sie damit einen deutlichen Akzent. La teta asustada, der zweite Spielfilm der gebürtigen Peruanerin, einer Nichte des Schriftsteller Mario Vargas Llosa, die inzwischen auch in Spanien lebt, wurde prompt mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Anders als manche Vorgänger erlebt er nun auch hierzulande einen raschen regulären Kinoeinsatz. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass bereits Madeinusa, Llosas Debüt, bei uns zu sehen war.

Ihre Hauptdarstellerin Magaly Solier hat sie 2006 für diesen Film entdeckt, und auch bei Madeinusa standen eine Frauenfigur und deren langsames Aufbegehren gegen patriarchal geprägte Traditionen, gegen äußere Zwänge und deren Verinnerlichung im Zentrum. In La teta asustada geht die Regisseurin allerdings einen Schritt weiter in Richtung Surrealismus.

Einprägsame Kinoheldin

Zwischendurch - und das gibt dem Film dann umgekehrt noch eine weitere, fast dokumentarische Note - nimmt man teil an traditionellen Hochzeitsritualen: Faustas Familie stattet sie aus, von der rosa Feststiege übers nur zur Dekoration gedachte Buffet bis hin zu musikalischen Entertainmenteinlagen. Zwischen diesen Welten, dem Leben draußen und den Ängsten in ihr drinnen, zwischen den Hochzeiten und der Bestattung ihrer Mutter, die Fausta finanzieren muss, bahnt sich diese einprägsame Kinoheldin beharrlich einen eigenen Weg. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2009)