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Preisgekrönte Regisseurin: Ursula Meier.

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Das Leben an der Autobahn ist kein Picknick: Marthe (Isabelle Huppert, Mi.) und ihre Kinder erproben in "Home" trotzdem eine andere Ferienbeschäftigung als ihre Landsleute.

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Standard: "Home" erzählt von einer fünfköpfigen Familie, die neben einem stillgelegten Autobahnteilstück lebt und eines Morgens damit konfrontiert wird, dass die Straße nun eröffnet. Was hat den Anstoß zu dieser Geschichte gegeben?

Meier: Home ist tatsächlich während des Autofahrens entstanden. Man meint immer, dass die Bewohner der Häuser, die sehr nah an der Autobahn liegen, nicht glücklich sein können. Eines Tages bin ich in Frankreich an einem solchen Haus vorbeigefahren. Und im Garten ist eine Familie beim Essen gesessen und hat sehr glücklich gewirkt - ungeachtet des Lärms und des Drecks. Da habe ich begonnen nachzudenken, wie so ein Alltag aussehen könnte. Und ich habe Lust bekommen, mir statt des x-ten Road Movies lieber ein "verkehrtes Road Movie" auszudenken. Statt der Bewegung lieber die Unbeweglichkeit angesichts der Bewegung zu behandeln.

Standard: In Ihrem ersten Spielfilm, "Les epaules solides / Starke Schultern" , der von einer Leistungssportlerin handelt, beschreiben Sie ein ähnlich abgeschottetes Universum - was zieht Sie dabei an?

Meier: Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich selbst immer in alle Richtungen gleichzeitig unterwegs bin. Ich lebe zwischen Belgien, Frankreich und der Schweiz. Ich probiere vieles aus, jeder meiner Filme ist völlig anders. Daraus ergibt sich umgekehrt die Notwendigkeit, irgendwann klare Grenzen zu ziehen, einen Rahmen zu definieren, innerhalb dessen sich der jeweilige Film bewegen wird. Und zu sagen: Okay, das wird jetzt erzählt - und nichts anderes.

Standard: Dabei setzen Sie sehr auf die erzählerische Kraft der Bilder.

Meier: Ich hatte eine recht protestantische Erziehung, vielleicht wird in meinen Filmen deshalb eher wenig gesprochen. Ich habe mich immer sehr für Fotografie und Malerei begeistert, dort ist viel eher meine Herkunft als bei den Wörtern. In Brüssel habe ich während meines Studiums eine Nähe zum Surrealismus entdeckt. Andererseits hat mich auch die Kultur meiner französischen Mutter geprägt. Das Kino betreffend habe ich einen sehr eklektizistischen Geschmack, ich mag sehr vieles, was sich eigentlich widerspricht. Home wollte ich im Tonfall einer Komödie beginnen, dann das Burleske und das Dramatische mischen bis man fast bei einem Hitchcock-artigen Horrorfilm ankommt.

Standard: Dieser Eklektizismus sorgt auch dafür, dass sich "Home" zeitlich schwer zuordnen lässt.

Meier: Der Film sollte zugleich realistisch und ein Märchen, eine Fabel sein. Die Balance zu finden, war nicht leicht. Ich habe auch bewusst vermieden, den Ort näher zu bezeichnen, an dem sich das Haus befindet - es könnte überall stehen. Und ich habe schon während des Schreibens der Versuchung widerstanden, kleine Anekdoten zu entwickeln, mit denen man eher rechnen würde - dass es einen Unfall gibt oder eine Verfolgungsjagd. Die Autobahn sollte wie ein Fluss sein, an dessen Ufer das Haus steht.

Standard: Haben Sie die Figur der Marthe im Hinblick auf Isabelle Huppert geschrieben?

Meier: Ich habe das Buch mit ihr im Kopf entwickelt. Aber es ging mir immer darum, Huppert als Teil dieser Familie zu sehen, sie nicht so in den Vordergrund zu stellen wie in der Klavierspielerin oder bei Chabrol. Sie ist Kern dieser Familie, alles gravitiert zu ihr hin und von ihr weg. Sie ist das Problem, aber sie ist auch die Mutter, und es hat mir gefallen, dass sie auch gewöhnliche Dinge sagt wie: "Hat jemand noch was Weißes für die Wäsche?"

Standard: Was "Home" außerdem stark prägt, ist die besondere physische Nähe zwischen den Akteuren, die Intimität zwischen den Familienmitgliedern.

Meier: Ich habe Huppert und Olivier Gourmet, der ihren Mann spielt, immer gesagt, dass das wahrscheinlich das Schwierigste ist, das wir drehen werden. Bei einer physischen Auseinandersetzung, einem handgreiflichen Streit, ist es einfach, einen Schauspieler zu dirigieren, man kann klare Anweisungen geben. Aber wie soll man das Glück verkörpern? Ohne in Klischeebilder zu verfallen? Ich wollte, dass man es sieht, hört, dass das Publikum das sofort fühlt. Schon beim Entwurf des Sets wollte ich, dass das Bad ganz klein wird. Die anderen waren skeptisch, aber ich weiß, es passiert etwas zwischen Schauspielern, wenn sie nicht ausweichen können, aneinander anstreifen. Das ist etwas anderes als die Anweisung, einen intimen Umgang miteinander zu spielen.

Standard: "Home" war im französischen Sprachraum im Kino erfolgreich. Sie haben drei Schweizer Filmpreise erhalten - haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?

Meier: Nein, gar nicht. Home ist ein ziemlich einzigartiger Film, ich wollte unbedingt, dass er keinem anderen ähnelt. Aber gleichzeitig sehen die Leute darin jetzt alle möglichen Filme: Sie reden von Weekend, von Tati, von Polanski, von David Lynch. Umso besser! Huppert sagt: "Ursula hat das alles gründlich in sich aufgenommen, und jetzt ist es ganz persönlich, es gibt keine direkten Anspielungen." Dass man etwas ausprobiert und damit den Nerv der Leute trifft, das hat mich in meinem Zugang bestätigt. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 2. 9. 2009)