Wien - Die Erzählung Ein ganz ausgefallenes Abendessen des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa (1888-1935), eines Meisters der Vervielfältigung seiner selbst, ist ein hässlicher - ein kafkaesker, böser Spuk.

Eine "gastronomische Gesellschaft" hält dekadente Schauermähler ab - zu ihrer eigenen Belustigung. Ein Vereinsobmann (jesuitisch gemessen: Florian Tröbinger) überwacht mit nachlässiger Jovialität die Einhaltung gastrosophischer Riten. "Der Erzähler" (Stefanie Philipps) dient sich als schwarz bestrumpfte Gewährsfrau einer Erzählung an, die eigentlich eine Kalendergeschichte ist, kaum zum Theaterstück taugt - und doch alle Spurenelemente einer zeitgenössischen Zivilisationskritik auf überzeugende Weise enthält.

Im Wiener Schauspielhaus, wo die freie Theatergruppe Dielaemmer mit einer szenischen Meditation über Pessoas Albtraumgeschichte gastiert, wird man zunächst mit einer bestrickenden Installation konfrontiert (Ausstattung: Birgit Knoechl). Sechs sauber eingedeckte Tische bieten jeweils einem einzelnen Gast Platz. Die "Erzählerin" überschreibt kontrollneurotisch die Headlines einer mitgebrachten U-Bahn-Zeitung - ehe das eigentliche Gastmahl gespensterhaft anhebt. Es wäre ein Leichtes, an Alex. Rieners (sic!) Regie herumzumäkeln. Die Luftstreiche mit leeren Löffeln, deren sich die Luxusesser wie chirurgischer Instrumente bedienen, fördern allerlei Zusammengelesenes zutage. Nahrungsphilosophie wird in bekömmlichen Proben aus Texten von Schopenhauer oder Antonio Gramsci dargereicht. Mit den Artikulationskünsten des Ensembles verhält es sich, trotz einiger hübscher Übersättigungsarien, nicht eben befriedigend.

Und doch wohnt dieser Produktion ein geheimer, ein unabweislicher Stachel inne. Ohne den Blick auf die Bourgeoisie-Kritik von Buñuel, von Greenaway, von Pasolini aus den Augen zu verlieren, artikuliert sich hier ein Ekel, der instinktiv nach szenischen Übersetzungen sucht. Der in einigen gewohnten Techniken der Alltagsbewältigung nach verborgen geglaubten Antworten kramt. Der sich von Sofa-Surfers-Musik (Wolfgang Frisch) famos unterlegen lässt. Denkfutter, in der Tat.

Gefressen werden in Pessoas Erzählung übrigens Menschen.

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 28./29.08.2009)