Zur Person:

Peter Haslinger wurde 1964 in Innsbruck geboren und leitet nach Forschungsaufenthalten in den USA, Ungarn und Österreich seit 2007 das renommierte Herder-Institut im deutschen Marburg. Daneben ist er Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas am interdisziplinären Gießener Zentrum Östliches Europa.

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Ungarische Minderheiten gibt es außerdem in Rumänien, Serbien und Österreich.

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Die Statue des Anstoßes.

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Seit Jahren köchelt der Konflikt zwischen den beiden neuen EU- und Schengen-Mitgliedsstaaten Ungarn und Slowakei. Seit dem Wochenende erreichte der Streit um Minderheitsrechte der knapp 450.000 Ungarn in der Slowakei eine neue Stufe der Eskalation. derStandard.at fragte den Marburger Mitteleuropa-Experten Peter Haslinger, was es damit auf sich hat.

derStandard.at: Ungarns Präsident Laszlo Solyom scheiterte vergangenes Wochenende an dem Versuch, in der slowakischen Grenzstadt Komarno eine Statue des ungarischen Nationalheiligen König Stephan I. einzuweihen. Warum reagiert die Slowakei so empfindlich?

Peter Haslinger: Das hängt einerseits mit der slowakischen Innenpolitik zusammen, andererseits mit einem Problem, das sich in den ungarisch-tschechoslowakischen und später -slowakischen Beziehungen seit dem Ersten Weltkrieg als Dauerkonflikt fortzeichnet: die Frage, inwiefern ein ko-nationaler Staat für Minderheitsfragen in einem Nachbarstaat zuständig darf und welche Symbolpolitik er betreiben darf.

Die allergische Reaktion Bratislavas ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es sich bei einer Stephans-Statue um ein für Ungarn stark national aufgeladenes Symbol handelt, das von einem ausländischen Staatsoberhaupt auf dem eigenen Territorium eingeweiht werden sollte. Der slowakisch-ungarische Konflikt entzündet sich zwar immer wieder an Einzelfällen, in beiden Ländern schwingen aber stark innenpolitische Interessen mit, etwa hinsichtlich der Wahlen in Ungarn und der Slowakei im kommenden Jahr.

derStandard.at: Nur fünf Prozent der ungarischstämmigen Slowaken sind laut einer Umfrage aus 2008 für den Autonomiestatus ihres Gebiets. Kämpft Budapest tatsächlich für die ungarische Minderheit oder doch für sich selbst?

Peter Haslinger: Aus Budapester Sicht geht es nicht nur um die Slowakei, sondern auch um die Sache der ungarischen Minderheit in Rumänien. Dort ist die Situation völlig anders, was die Siedlungsgeographie und die Geschichte betrifft. Ohne die Politik Budapests gegenüber Serbien und Rumänien ist die derzeitige Krise in den Beziehungen gegenüber der Slowakei aber nicht denkbar. Es wird nicht länderorientiert Politik gemacht, sondern problembezogen. Und hier ist eine Territorialautonomie für Budapest nicht mehr als eine Wiedergutmachung für den Verlust ungarisch besiedelter Gebiete nach dem Ersten Weltkrieg. In den Nachbarstaaten herrscht hingegen die Angst, dass diese angestrebte Autonomie nur die Vorstufe einer möglichen späteren Loslösung dieser Gebiete sein könnte.

Dass die ungarischen Slowaken keinen großen Ehrgeit hinsichtlich einer Autonomie entwickeln, hat mit der Verbundenheit zum tschechoslowakischen und slowakischen Staat zu tun, die mit Ausnahme der Meciar-Jahre (Ministerpräsident Vladimir Meciar regierte die Slowakei von 1990 bis 1994 in teils autoritärem Stil, Anm.) doch recht solide war und ist. Von Seiten mancher ungarischer Politiker wird immer wieder Südtirol als Referenzmodell gepriesen, inwieweit sich das durchführen ließe, ist eine andere Frage. Und dass man ungarischsprachige Siedlungen tatsächlich so genau von anderssprachigen Gemeinden abgrenzen kann und will, wage ich zu bezweifeln.

derStandard.at: Warum fühlt das Schengenmitglied Ungarn 90 Jahre nach dem Vertrag von Trianon noch immer diesen im Jahr 2009 von außen betrachtet bizarren Phantomschmerz?

Peter Haslinger: Platt ausgedrückt hat jeder Ungar drei geographische Bilder im Kopf, wenn es um die eigene Nation geht. Das eine ist das heutige Staatsgebiet, das zweite ist Ungarn in den Grenzen von 1918, wo meist auch Kroatien noch dabei ist, und das dritte Bild ist die Kombination aus dem heutigen Staatsgebiet und den ungarisch besiedelten Gebieten in den Nachbarstaaten. Diese Bilder werden im öffentlichen Diskurs und auch in den Schulen immer wieder aufgerufen.

In Ungarn laden sich diese Territorialvorstellungen durch die Verkoppelung von Innen- und Außenpolitik deutlich stärker auf als etwa in Österreich, wo es gegenüber früheren Kronländern der Habsburgermonarchie keinerlei Regressansprüche gibt. Für politische Gruppen aus dem rechten Spektrum ist es durchaus opportun, zusätzlich zum Staatsgebiet die anderen Territorialvorstellungen mit Botschaften aufzuladen und von einer Unterdrückung der Ungarn in den Nachbarländern zu sprechen.

derStandard.at: Auch das Burgenland zählt zu den Gebieten, die Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg an seine Nachbarstaaten abgeben musste. Warum sind die Beziehungen Budapests zu Österreich vergleichsweise friedlich?

Peter Haslinger: Das hat einerseits mit der Größe zu tun, sowohl des Burgenlandes als auch jener der ungarischen Bevölkerung dort. Im Vergleich mit den Millionen Ungarn in anderen Ländern war das Burgenland verschmerzbar. Zum anderen hatte man in Sopron eine Volksabstimmung gewonnen und damit bewiesen, dass man ein Gebiet auch wieder zurückbekommen kann. Und zum Dritten war die außenpolitische Situation in den 30er-Jahren so angespannt, dass man neben all den verfeindeten Nachbarstaaten zumindest einen befreundeten Nachbarn brauchte, und das war Österreich. Zudem hat sich das Burgenland von Anfang an mehr oder weniger zu seiner ungarischen Vergangenheit bekannt, was in einer föderalen Struktur aber auch leichter fallen dürfte als in einem Zentralstaat wie Rumänien.

derStandard.at: Der Konflikt zwischen Ungarn und der Slowakei gilt als der angespannteste zwischen zwei EU-Staaten. Was kann die EU tun, um ihn zu entschärfen?

Peter Haslinger: Einerseits sind die Eingriffsmöglichkeiten bei Partnerstaaten viel geringer als bei Beitrittskandidaten. Wenn die EU ein Land aufgenommen hat, ist es drin. Man sollte die Länder natürlich weiterhin auf die Einhaltung bestimmter Standards hinweisen, da sehe ich im Falle der Slowakei gegenüber der ungarischen Minderheit aber weniger ein Problem als gegenüber den Roma. Das ist der eigentliche Sprengstoff, der hinter der Minderheitenfrage in ganz Osteuropa steckt. Man sollte natürlich auch auf Ungarn einwirken und die Frage der Unverletzlichkeit der Grenzen klarstellen. Auf europäischer Ebene sehe ich aber derzeit wenige Möglichkeiten, den Konflikt zu beeinflussen, ich plädiere eher für Zurückhaltung. Auch deshalb, weil ich a la longue wenig Gefahr einer weiteren Eskalation sehe. (flon/derStandard.at, 24.8.2009)