Fight Night Round 4 (EA Sports) ist für PlayStation 3 und Xbox 360 erschienen.

Sommerzeit bedeutet zumeist Badesaison. Dank garantierten Schlechtwetterfronten ist es dennoch nicht verkehrt, sich zur Sicherheit etwas Kost für den passiven Sport zurechtzulegen. Bereits Ende Juni erschien der vierte Teil der Box-Sport-Simulation "Fight Night".

Schon der dritte Teil überzeugte mit einer spannenden Atmosphäre, virtuellen Legenden und Eye-Candy-Grafik. "Fight Night Round 4" legt in allen Bereichen nach und kann damit, um es vorweg zu nehmen, gut und gern als eines der besten Sportspiele für Konsole bezeichnet werden.

The Greatest vs. Iron Mike

Oberflächlich betrachtet, hat das einerseits mit der teils fotorealistischen Inszenierung und andererseits mit dem Generationen-übergreifenden "Clash of The Titans" zu tun. Neben zahlreichen alten wie neuen Box-Stars stehen sich erstmals Muhammad Ali und Mike Tyson gegenüber. Was die reale Welt niemals erleben durfte, kann also im Wohnzimmer nachgestellt werden. Ikone trifft Knock-out-König - was will man als Fan mehr.

Aus europäischer Sicht fehlen bei den prominenten "Nebendarstellern" aus allen Gewichtsklassen wie Sugar Ray Robinson, Diego Corrales, Joe Frazier, George Foreman und Lennox Lewis eigentlich nur noch die Klitschko-Brüder.

In-Fight

Genauer betrachtet sind die Namen der Boxer aber nebensächlich. Der König im Ring ist das komplett überarbeitete Kampfsystem. Das virtuelle Schach der Fäuste ist aufgrund einer weitaus feineren physikalischen Berechnung vielschichtiger denn je ausgefallen, was insbesondere den Vergleich zwischen Reichweiten-Assen und In-Fight-Spezialisten interessant macht. Die genauere Abtastung ermöglicht das Abtauchen in die gegnerische Deckung. Jabs landen nicht mehr nur sauber am Körper, sondern können je nach Präzision auch vorbeistreifen. Schlecht getimete Haken ziehen haarscharf über den Kopf und Kinnhaken können schon mal durch die Doppeldeckung rutschen.

Analog

Dem zu Grunde liegt die optimierte Steuerung. Der linke Analog-Stick dient der Beinarbeit. Schläge werden jetzt ausschließlich mit dem rechten Analog-Stick ausgeführt. Dies wirkt für Neulinge ungewohnt, erlaubt allerdings alle Arten von Angriffen intuitiv mit ein und dem selben Instrument vorzunehmen. Die obere Hälfte des Schlag-Radius betrifft alle Angriffe auf den Kopf des Kontrahenten, die untere Hälfte steht für den Körper. Geraden werden etwa mit kurzen Schüben in alle vier Ecken ausgeführt, Haken lassen sich über Viertel-Kreis-Bewegungen am Stick durchziehen.

Ausweichen und Decken erfolgt durch das gleichzeitige Drücken bestimmter Schultertasten. Neu ist das sinnvollere Konter-System. Pariert man einen Schlag (mit der Deckung oder, in dem man ausweicht) erst im kurzen Moment vor dem Eintreffen, hat man wenige Sekunden Zeit einen Konter zu setzen und damit dem Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen.

Bleibender Eindruck

Das ausgefeilte Kontersystem verwandelt Rockys rasch zu Ring-Strategen. Viele Kontertreffer hintereinander verträgt auch der zäheste Fighter nicht. Eine weitere Neuerung sind so genannte Lucky Punches. Trifft man einen Gegner im richtigen Augenblick mit voller Wucht, torkelt er für kurze Zeit benommen umher. Der Niederschlag muss dann rasch erfolgen, bevor die Sinne zurückkehren. Derartige "One-Hit-Wonder" sind aber die Ausnahme, in der Regel gilt es sein Gegenüber Runde für Runde zu schwächen und das K.O. oder den Punktsieg zu erzwingen.

Zähneknirschen

Unterstrichen wird der Thriller in den Seilen durch die hoch detaillierte grafische Ausarbeitung. Schweißtropfen perlen auf der Stirn, Arm- und Schultermuskeln kontrahieren in der Beschleunigung des Hakens, Bauchmuskeln pressen sich zum Schutze zusammen, Blut spritzt beim Eindonnern der Geraden aus dem Mund. Geschundene Wangenpartien schwellen mit der Zeit an, bevor sie schließlich zu hässlichen Cuts aufplatzen. Dramatische Gesichtsanimationen verdeutlichen den Schmerz. Wurde man niedergeschlagen, verschwimmt die Sicht und man versucht hektisch wieder auf die Beine zu kommen. In den Pausen lässt man sich von seinen Betreuern zusammenflicken. (Das Heilungssystem wurde gegenüber dem Vorgänger stark vereinfacht.)

Gänsehautatmosphäre

Selbst Box-Sport-Gegner werden sich beim Spielen oder Zusehen zumindest hin und wieder der Spannung nicht erwehren können. Zu einem Gutteil ist dies der erstklassigen akustischen Untermalung und den originalen ESPN-Modaratoren zu verdanken, die in jeder Sekunde ihren Senf dazu geben. So werden gute Kombinationen bejubelt, eine schwache Beinarbeit bemängelt und zwischendurch immer wieder eine Anekdote aus den Leben der Kämpfer erzählt. Das Publikum reagiert zu jedem Volltreffer euphorisch, die Schlag-, Quetsch- und Block-Geräusche gaukeln Menschlichkeit vor.

Einzig die regelmäßigen Wiederholungen der Kommentare nerven auf Dauer etwas.

Ich im Ring

Nachdem alle großen Charaktere bereits von Beginn an zur Verfügung stehen, kann sofort losgelegt werden, ohne erst mühsam Boni freizuspielen. Das heißt aber nicht, dass man keine Karriere anstreben darf. Der Legacy-Modus erlaubt es ein Talent bis ganz nach oben an die Spitze zu führen.

Besonders reizvoll ist die Möglichkeit, zumindest theoretisch sein Ebenbild erschaffen zu können. Neben der präzisen Modellierung des Körpers, darf per Foto (auch direkt über die WebCam) das eigene Gesicht "transplantiert" werden. In der Praxis braucht es jedoch viel Übung, um sein Alter Ego gleich aussehen zu lassen. Denn das Foto wird nicht als Textur übernommen, sondern dient lediglich der Anpassung der Gesichtsproportionen. Alle restlichen Merkmale müssen manuell über Regler angepasst werden.

Hartes Training

Die Karriere selbst wird, um es drastisch zu formulieren, von mühsamen Trainings-Minispielen zwischen den Austragungen überschattet. Nur wer alle Übungseinheiten perfekt absolviert, hat die Möglichkeit seinen Boxer in allen Bereichen auf das Niveau eine waschechten Profis zu bringen. Vergeigte Trainings machen sich vor allem gegen Ende der Karriere bemerkbar, da die Anzahl der Trainingseinheiten strikt vorgegeben wird und keine Wiederholungen zugelassen sind. Das Kampf-Management ist ebenfalls etwas langatmig ausgefallen. Da Boxer längere Pausen zwischen den Begegnungen machen müssen, gilt es jedes Mal selbst den nächsten Kampf zu buchen und die Trainingseinheit davor unterzubringen. Oben drauf kommt noch, dass abschließend alle Tage bis zur nächsten Begegnung simuliert werden müssen, was jedes Mal wieder Wartezeiten bedingt.

Zu mehrt

Die größere Herausforderung besteht darin, sich mit Spielern aus aller Welt zu messen. Der World Championship Modus bietet ein Online-Rankingsystem, in dem es sich zu behaupten gilt. Wie gehabt, lassen sich auch einfache Partien rasch über das Internet austragen. Am meisten Freude bereitet allerdings nach wie vor das Match mit dem Kontrahenten neben sich.

Die Möglichkeit jederzeit neue Charaktere zu erstellen und sie Online zu tauschen, bedeutet, dass mittlerweile eine ebenso breite, wie kuriose Auswahl an Athleten zum Download bereit stehen. Barack Obama darf dabei nicht fehlen.

Fazit

Fight Night Round 4 ist die bislang beste Abbildung des Schachs der Fäuste. Kämpfe wirken realer, intensiver und verfügen über jenes Maß an Unvorhersehbarkeit, das den Box-Sport so spannend macht. Die Langatmigkeit des Karriere-Modus kann den sonst hohen Grad an Perfektion nicht trüben. Die Implementierung des eigenen Gesichts hätte etwas einfacher ausfallen können.

Nachgereicht: Für jene, die mit der Analog-Stick-Steuerung gar nicht zurecht kommen, wird im September eine Button-Navigation nachgereicht.

Online-Welt: PS3-Spieler finden im EA-Komplex der Online-Welt Home einen neuen "Fight Night"-Bereich, samt DJ-Game und Roboter-Boxkampf. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 26.7.2009)