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Ein Screenshot aus den Vorversionen von KDE 4.3, die neue Desktop-Generation soll Ende Juli erscheinen.

Grafik: Archiv

Es ist eines der großen Vorzeigeprojekte der Open-Source-Community: Das KDE-Projekt arbeitet seit dem Jahr 1996 an der Entwicklung eines freien Desktops, ein Unterfangen mit dem man durchaus erfolgreich ist, zählt man doch neben dem GNOME zu den beiden "Großen" im Linux-Desktop-Bereich. Gemeinsam traf man sich vor kurzem zum Gran Canaria Desktop Summit (GCDS), rund 1.000 EntwicklerInnen waren gekommen, um erstmals die beiden Desktop-Konferenzen Akademy (KDE) und GUADEC (GNOME) an einem Ort zu veranstalten. Bei dieser Gelegenheit hatte Andreas Proschofsky die Möglichkeit das folgende Interview mit Sebastian Kügler, Vorstandsmitglied des KDE e.V., zu führen. Kügler ist neben seiner Tätigkeit in der Organisation hinter dem Desktop-Projekt auch noch einer der Hauptentwickler der Desktop-Shell Plasma und kümmert sich zusätzlich um Medien- und Öffentlichkeitsarbeit.

derStandard.at: Von Beginn an ist KDE4 immer wieder in der Kritik gestanden, vor allem der unfertige Zustand bei der Auslieferung von KDE 4.0 verärgerte so manche BenutzerInnen. Im Nachhinein betrachtet: Hätte man hier etwas anders machen können oder sollen?

Sebastian Kügler: Als wir mit der Planung von KDE4 begonnen haben, war schnell klar, dass ein großer Umbau nötig wird, um die nächsten technologischen Schritte setzen zu können. Das war natürlich eine wirklich riskante Sache, die uns auch den Kopf kosten hätte können. Denn wenn sich Entwicklungsprozesse ewig hinziehen und keine Releases in Sicht sind, laufen irgendwann die Entwickler weg, weil die ja auch ihre Applikationen veröffentlichen wollen. KDE 4.0 war also eine Plattform-Release, um es Entwicklern überhaupt wieder zu ermöglichen, Anwendungen herauszubringen. Insofern war die frühe Veröffentlichung eine Entscheidung, die wir ganz klar für die Community getroffen haben, die Benutzer waren da nicht der ausschlaggebende Faktor.

Die Alternative wäre gewesen, zu sagen: "Wir machen erst KDE 4.0, wenn wir Feature-Parity mit KDE 3 haben", aber das hätte sich wahrscheinlich sehr lange hingezogen. Ein schönes Beispiel für so einen Zugang ist Enlightenment, hier wurde jahrelang gesagt, dass man E17 erst dann heraus bringt, wenn es wirklich fertig ist. Dies mit dem Ergebnis, dass das Projekt in der Community immer wieder mal mit "Duke Nukem Forever" verglichen wurde, weil es nicht und nicht fertig werden wollte. Zwar steht hier nun tatsächlich bald eine Release an und und E17 sieht auch wirklich richtig gut aus, aber so weit ich weiß, arbeiten mittlerweile nur mehr rund 10 Entwickler an dem Projekt.

Ein weiteres Problem war aber auch, dass Teile der Community ihren Kram bereits fertig hatten, zum Beispiel die KDE Games-Leute, die hatten schon ein halbes vor KDE 4.0 alles portiert, haben SVG-Support integriert und waren auch bereits ziemlich stabil. Bei einer Community, die so breit ist, können wir also nicht sagen: "Wir releasen erst dann, wenn auch das letzte Teil fertig ist", sonst laufen viele einfach weg.

Im Nachhinein würde ich sagen, war es die richtige Entscheidung. Es hat uns viele Benutzer gekostet, aber wir haben es geschafft, die Plattform rechtzeitig zukunftssicher zu machen. Derzeit ist der freie Desktop ja in einer Aufbruchsphase, dies sieht man an mehreren Dingen: Immer mehr Firmen kommen an Board, die Hardwareunterstützung ist mittlerweile so, das eigentlich alles funktioniert - X ist da vielleicht eine Ausnahme - die ganze Plattform ist an einem Punkt angelangt, wo die Zahl der Benutzer wahrscheinlich exponentiell steigt. Klar - wir haben durch unsere Entscheidung auch viel Schlamm abbekommen, aber jede Veränderung bringt Widerstand mit sich.

derStandard.at: Aus der heutigen Perspektive: Gab es Sachen, die nicht so gelaufen sind, wie man es gerne gehabt hätte?

Kügler: Wir hätten es deutlicher in Richtung Benutzer kommunizieren sollen, dass bei KDE 4.0 im Vordergrund stand, eine Plattform zu schaffen, mit der wir über Jahre hinweg zukunftssicher sind, die Basis für den richtig großen nächsten Schritt. Das ist in der Kommunikation schief gegangen, und dafür muss ich teilweise auch persönlich die Verantwortung übernehmen.

derStandard.at: Welche Vorteile ergeben sich aus einer gemeinsamen Konferenz von GNOME und KDE?

Kügler: Wir können uns zum Beispiel für so Sachen wie die Freedesktop.org-Krise einfach zusammensetzen und mit richtig hoher Bandbreite über Lösungen unterhalten, wir haben die "Movers" und "Shakers" von beiden Projekten beisammen. Was natürlich auch wichtig ist, ist gemeinsam als "Freier Desktop" nach außen aufzutreten. Es ist ja nicht so, dass sich nur Hacker für dieses Thema interessieren, es ist auch die Industrie, die aktiv darüber nachdenkt freie Desktop-Technologien zu benutzen, wenn man denen eine zersplitterte Community vorsetzt, macht man es ihnen schwieriger sich zu informieren - und das hilft keinem. Außerdem sind ganz viele der Probleme, die wir haben, nicht KDE- oder GNOME-spezifisch, das sind Dinge, die in X gelöst werden müssen, Sachen, die im Audio-Stack anstehen, um nur zwei der großen schmerzhaften Bereiche anzusprechen.

derStandard.at: Die Zusammenarbeit zwischen GNOME und KDE scheint momentan deutlich besser als in der Vergangenheit, die EntwicklerInnen kommen eigentlich problemlos miteinander aus. Hat man hier in der Vergangenheit Chancen auf Synergie-Effekte verpasst?

Kügler: Ich bin mir nicht so sicher, dass wir da wirklich etwas verpasst haben. Es dauerte einfach für die Projekte sich anzunähern. Man darf auch nicht vergessen, dass das GNOME-Projekt als Gegenpol zu KDE entstanden ist, das hat sich ziemlich lange in einer fast feindlichen Atmosphäre gehalten. Da sind wir in den letzten Jahren ziemlich darüber hinweggekommen, bei manchen Benutzern hält sich das allerdings noch. Das wird man auch nie ganz verhindern können, es ist ja auch nicht so, dass dieser Microsoft/Apple-Krieg je aufhört, für manche Leute ist das offenbar eine Beschäftigungstherapie.

Bei den Entwicklern klappt das hingegen mittlerweile weitgehend problemlos, bei der Konferenz hier sah man von der ersten Minute, dass das richtig gut ineinander greift.

derStandard.at: Hat sich für KDE durch die Übernahme von Qt-Hersteller Trolltech etwas geändert?

Kügler: Ich glaube schon. Als ich davon zum ersten Mal gehört habe, habe ich zunächst einmal geschluckt, wir sind ja stark von Qt abhängig. Was sich aber in den nächsten Monaten ziemlich schnell gezeigt hat - auch in Meetings zwischen Nokia und der KDE-Community - ist, dass Nokia einfach auf der Suche nach besserer Technologie ist. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass Nokia sich schon frühzeitig für ein GTK+3 engagiert hat, und dass man da dann irgendwann sehr frustriert war, weil sich so wenig bewegt hat. Wahrscheinlich hatte Nokia davon einfach die Schnauze voll. Und man hat sich wohl auch gedacht, wie kommen wir hier raus, wie können wir Apple und dem iPhone Konkurrenz machen. Das heißt das Interesse von Nokia, Qt weiter voranzutreiben, scheint wirklich da zu sein. Wir sehen auch bereits viele neue Projekte, einmal das S60-Projekt, um Qt auf Symbian zu portieren, das uns langfristig den Weg Richtung mobiler Apparate weiter ebnen wird. Viel kurzfristiger ist eine neue Animations-API, die voraussichtlich mit Qt 4.6 im Dezember rauskommen wird. Wir arbeiten schon daran, die in Plasma zu verwenden, das heißt, dass wir im Grunde genommen sehr komplizierte Code-Bestandteile komplett in Qt auslagern können, etwa Physik-basierte Animationen in Applikationen. Insgesamt habe ich also den Eindruck, dass das Innovationsvermögen innerhalb von Qt deutlich steigt.

Und dann war natürlich noch die Verwendung der LGPL, die viele Vorbehalte gegenüber Qt im Lizenzbereich ausgeräumt hat. Außerdem wurde die Entwicklung weiter geöffnet, Qt wurde in ein unabhängiges Git-Repository auf Gitorious gestellt, die Copyright-Attribution wurden ebenfalls wesentlich vereinfacht. Das macht es für uns als KDE-Projekt wesentlich einfacher unsere Patches reinzubekommen.

So wie es aussieht wird sich also Qt zum Standard-Toolkit für sehr viele Bereiche entwickeln. Es wird ja auch offen in der GTK+/GNOME-Community darüber nachgedacht, wie man besser mit Qt zusammenarbeiten kann. Ich glaube eigentlich nicht, dass ein Markt da ist für zwei freie Softwareprojekte, die im Grunde genommen beide die gleich Zielgruppe ansprechen. Und wenn man sich ansieht wie Qt sich zu GTK+ verhält, ist Qt ganz einfach eine Generationsstufe weiter.

derStandard.at: Das heißt: Zwei Desktops - ein Toolkit? Oder gleich: Ein Desktop - ein Toolkit?

Kügler: Das Problem ist sicher das GNOME sehr stark mit GTK+ verwoben ist, es ist sicherlich viel zu viel Arbeit das alles auf Qt zu portieren. Ich weiß nicht genau wie sich Leute wie Mark Shuttleworth das vorstellen, wenn sie sagen GNOME sollte Qt-basiert sein, aber es ist auf jeden Fall interessant zu sehen, wie sich die Diskussion weiter entwickelt. Aber es ist schon angenehm zu sehen, dass in der GTK+/GNOME-Community nicht mehr so die Nase über Qt gerümpft wird, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Dass hier offen darüber nachgedacht wird, dass es viele Vorteile bieten könnte, solche Arbeit nicht unnötig doppelt zu machen.

derStandard.at: Allgemein gefragt: Wo liegen die Entwicklungsschwerpunkte für die kommenden KDE-Versionen?

Kügler: KDE 4.3, das jetzt Ende Juli herauskommt, ist ein relativ inkrementelles Release. Wir haben noch ein paar Löcher gestopft in Hinblick auf die Feature-Parity mit KDE 3, wir haben Sachen weiter optimiert, teilweise ist es schneller, wir haben das Artwork aufgefüllt. Was auch im letzten halben Jahr passiert ist, ist dass die größeren KDE-"Flaggschiff"-Programme in KDE4-Versionen herausgekommen sind. Amarok, Digikam, KOffice - K3B ist auch fast fertig. Wir sind also an dem Punkt angekommen, wo wir sagen können: KDE4 funktioniert, KDE4 ist gelandet.

Dass ist aber auch gleichzeitig der Zeitpunkt, wo wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht einfach "dekadent" zurücklehnen, wir müssen uns also jetzt umgruppieren und schauen was die nächsten "dicken Dinger" sind. Wir haben zu Microsoft und Apple so ziemlich aufgeschlossen, und jetzt müssen wir diesen schnelleren Entwicklungsprozess nutzen, um auch vorbeiziehen.

Für KDE 4.4 ist geplant, dass wir unsere gesamte PIM-Suite auf Akonadi umstellen, damit haben wir dann einen zentralen Speicherort für Kontakte, Mail, Bookmarks, Chat-Logs und mehr, der von mehreren Anwendungen genutzt werden kann. Vorerst gibt es diesen Wechsel aber nur als Prototyp, damit hier keine Mail-Verluste entstehen, mit KDE 4.5 soll das dann Default werden.

Eine andere wichtige Sache ist der semantische Desktop, wir haben hier die Fundamente gelegt, jetzt müssen wir das auch in den einzelnen Applikationen nützen, damit wir zeigen, wie die Benutzer davon profitieren können.

derStandard.at: Integration in Anwendungen heißt vor allem eine globale Suche, oder?

Kügler: Suche ist sicher ein Szenario, dazu gehört aber zum Beispiel auch, dass wir uns merken, welche Webseiten besucht wurden. Wenn ich mir die Zeit nehme eine Website zu lesen, dann ist es sicherlich auch sinnvoll die Seite zu indexieren, damit ich die Informationen später wiederfinde. Das ist mit dieser einheitlichen Plattform, wo wir komplette I/O abfangen können, relativ einfach. All das bietet uns auch die Möglichkeit, die starke Integration zu benutzen, um relativ schnell die Schritte zu setzen, die uns an die Spitze vor Microsoft und Apple bringen.

Was ich zum Beispiel gern so schnell wie möglich umgesetzt hätte, ist ein zentrales Konzept von Personen. Ich möchte zu jemandem, mit dem ich an einem bestimmten Projekt arbeite, schnell die relevanten E-Mails präsentiert bekommen, sehen, ob wir gemeinsame Termine haben, ich möchte direkt in diesem Kontext Chat-Logs abrufen können, oder auch sehen, wo sich die Person gerade befindet. Ich möchte also den Computer näher an das mentale Modell, das wir als Menschen haben anpassen, Konzepte, die wir im Alltag benutzen, auch im User Interface umsetzen - und nicht an Dateien und Ordnern hängen bleiben.

Diesen semantischen Desktop wollen wir dann noch mit dem "sozialen Desktop" kombinieren. Wir wollen die Community - die eine unserer Stärken ist - benutzen, um die Desktop-Erfahrung zu verbessern. Das heißt zum Beispiel Peer-to-Peer-Support zu ermöglichen, damit die Leute sich gegenseitig helfen können, etwa wenn jemand in der Nähe den gleichen Drucker hat.

derStandard.at: Ist das Problem hier nicht, dass sich dafür die NutzerInnen einem weiteren - sehr speziellen - sozialen Netzwerk anschließen müssen, während all ihre Freunde auf Facebook sind?

Kügler: Klar, insofern ist OpenDesktop [das derzeit das Backend für den "sozialen Desktop" bildet, Anm.] eine sehr gute Experimentierplattform, der nächste Schritt ist aber sicher den Desktop auch mit anderen Services zu verbinden. So dass man dann sein Adressbuch einfach mit LinkedIn verbinden oder seine Bookmarks mit del.icio.us abgleichen kann.

Wir haben die Technologie, um sehr einfach Webservices in den Desktop einzubinden, das läuft für mich persönlich auch oft unter dem Konzept "Freeing the Web from the Browser". Das heißt, dass wir versuchen diese sehr limitierte Plattform "Webbrowser" zu umgehen, wir brauchen nicht die "crappy" HTML / Javascript / AJAX-Interfaces, die erst zwanzig Jahre später Drag & Drop in einen E-Mail-Client erlauben.

derStandard.at: An KDE5 verschwendt man derzeit wohl noch keinen Gedanken, oder?

Kügler: KDE5 hieße für uns, dass wir die Binär-Kompatibilität brechen, und bis jetzt sehen wir die Notwendigkeit dafür einfach noch nicht. Die KDE4-Plattform sieht bisher richtig gut aus, in den ersten eineinhalb Jahren hatten wir kaum Sachen, bei denen wir gedacht haben: "Das hätten wir lieber anders bauen müssen".

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky [@suka_hiroaki auf Twitter], derStandard.at, 20.07.2009)