Über 90 Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich nahmen im Lauf des ersten Jahreshälfte 2009 bei gesamt 10 Workshops von "EUropa erschreiben", organisiert von den Europäische Föderalisten Österreichs, teil. Alle Texte der JungjournalistInnen wurden auf derStandard.at veröffentlicht.

Die Jury aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundeskanzleramts, des Außen- und des Unterrichtsministerums, der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, des Europäischen Parlaments und der Redaktion von derStandard.at kam hat folgenden Text zum Siegertext gewählt: 

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"Sie haben ja so recht, aber wir haben die Mehrheit"

Johannes Voggenhuber, Mitglied des europäischen Parlaments seit 1995, erklärte im Rahmen des Pilotprojekts "EUropa erschreiben" österreichischen Schülern die Vorteile und den Alltag des Europaparlaments

"Unsere Aufgabe ist es, die Öffentlichkeit von den Unrealitäten zu überzeugen" Johannes Voggenhuber weiß genau, was momentan in Österreich an erster Stelle steht, wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht. Viele österreichische Bürger wüssten zum Teil nicht, von welchem Nutzen das Europaparlament ist und meinen Brüssel sei zu weit weg, um etwas in unserem Land ändern zu können.

Sechs Jahre lang war Voggenhuber im österreichischen Nationalrat tätig und meint, große Unterschiede zwischen dem nationalen Parlament Österreichs und dem Europaparlament zu erkennen. "Im österreichischen Nationalrat werden oft 'Pseudodiskussionen' durchgeführt, die aber an den Dingen nichts mehr ändern können. Egal welche Wünsche oder Anregungen man auch hat". Die Entscheidung sei schon meist davor gefallen, da die Mehrheit der Regierung den längeren Arm habe. Voggenhuber erzählt, oft habe man ihn nach einer Sitzung angesprochen und bedauert: "Sie haben ja so recht, aber wir haben die Mehrheit". Durch jenen Fraktionszwang und der Regierungsmenge, die die Macht hat, seien Argumente in diesem Fall wertlos.

Demokratie ist ein Interessensausgleich

"In der Europäischen Union, da ist das allerdings anders", erklärt Voggenhuber. "Jeder Parlamentarier kann mit genug Engagement und sinnvollen Argumenten Einfluss auf den Verlauf der Abstimmung nehmen". Im Europaparlament ist es - im Unterschied zum österreichischem Nationalrat - nie sicher, wie über die Regierungsvorlage abgestimmt wird. Bis zur letzten Rede sei es ein offenes Spiel. "Genau, das macht die EU so überlebensfähig". Die Demokratie ist ein Interessensausgleich". Es sei wichtig, dass Interessen ausgesprochen werden, welche in der Kommission noch nicht behandelt wurden. Durch das viel breitere Spektrum an internationalen Weltanschauungen, Werten und Interessen seien die Gesetztesvorlagen ganz anderen Prüfungen ausgesetzt. Natürlich dauere das ständige Diskutieren lange. "Es ist umständlich und ein unglaublicher Aufwand. Dafür aber sind die beschlossenen Gesetzesentwürfe nachhaltiger", so Voggenhuber über das ständige Reden und Gegenreden im europäischen Parlament.

Beziehe man sich auf die drei Staatsformen, so ist zu erkennen, das die Oligarchie komplizierter funktionere als die Diktatur, wo nur eine Person das Sagen habe. Die Demokratie sei an Komplexität und Interessenskonflikten dann der Gipfel der Staatsformen. "Wäre das Argument der Einfachheit der Gesetztesentschlüsse die einzige Wahrheit, würde es die Demokratie längst nicht mehr geben und wäre kurz nach ihrem Entstehen auch gestorben". Voggenhuber betont wieder einmal, dass ausverhandelte Interessenskonflikte gerechtere Lösungen und höhere Akzeptanz herbeiführe und dass die Anfälligkeit der Fehler viel geringer sei. Wenn Demokratie im Zuge eines Vieraugengespräches gemacht wird und dabei Entschlüsse gefasst werden, so werden sie nicht lange halten. "Solche Entschlüsse werden wahnsinnig schnell entschieden und erweisen sich danach als wahnsinnig falsch". (Arian Lehner)