Das mittlerweile viereinhalb Jahre alte Karfreitagsabkommen bleibt die Grundlage für eine bessere, friedliche Gesellschaftsform in Nordirland. Der damals von den Parteien Nordirlands sowie den Regierungen Großbritanniens und Irlands vereinbarte Kompromiss enthält die Grundprinzipien, zu denen die Nordiren immer wieder zurückkehren werden.Gegenwärtig befindet sich das raffinierte Institutionsgefüge zur Selbstverwaltung in seiner tiefsten Krise seit 1998. Die größte Unionistenpartei unter Premierminister David Trimble hat im letzten Monat beschlossen, sich zu Beginn des nächsten Jahres aus der Koalitionsregierung mit der IRA-nahen Sinn-Féin-Partei zurückzuziehen, aus Angst, bei den nächsten Parlamentswahlen von kompromisslosen Fundamentalisten geschlagen zu werden. Trimble hat sich von allem Anfang an an Sinn Féin und der IRA regelrecht festgebissen. Er hat es verabsäumt, eine tragfähige Mitte mit den gemäßigten Katholiken aufzubauen, und er hat die gemäßigten Kräfte in seiner eigenen Partei zu wenig ermutigt. Deshalb prophezeien die Auguren jetzt eine Polarisierung auf Kosten der politischen Mitte, falls es sofort zu Wahlen käme. Die Sinn Féin ihrerseits ließ sich gerne ins Rampenlicht ziehen und benutzte die schlummernde Gewaltdrohung der IRA skrupellos, um immer weitere Konzessionen zu ertrotzen. Zusätzliche Wähler strömten der Partei zu. Doch der Marsch Sinn Féins in die reine Demokratie verzögerte sich durch diese Spielchen, die IRA rüstete auf statt ab und hielt ihre Kriegsmaschinerie einsatzbereit. Der begründete Verdacht, dass die IRA einen Spionagering im Büro des britischen Nordirlandministers aufgebaut hatte, führte nun endgültig zum Eklat. Der unvermeidliche Neubeginn kann in Nordirland aber erst dann stattfinden, wenn aus Nörglern berechenbare Politiker geworden sind und aus Guerilleros Demokraten. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2002)