Die Welt der Informationstechnologie ist manchmal besser zu verstehen, wenn man sie mit einem Schachspiel vergleicht, als wenn man die technischen Hintergründe zu verstehen versucht; ein Schachspiel allerdings mit mehr als zwei Farben und zwei Königen. Bei der Oracle World in Kopenhagen setzte Larry Ellison, König des Oracle-Reichs und seit Jahren im privaten Wettstreit mit Microsoft-König Bill Gates um den größten Geldspeicher (Gates liegt vorne) verwickelt, eine Reihe von Zügen. Auf den ersten Blick zielt Oracle gegen den größten IT-Konzern der Welt, "Big Blue" IBM, mit der Oracle um die Marktführerschaft bei mächtigen Datenbanken für Unternehmen rittert. Datenbanken laufen am schnellsten auf starken Großrechnern, und sie laufen bisher jeweils nur auf einem einzelnen Rechner - je schneller der Rechner, desto schneller die Datenbank. Dabei kommt Oracle bisher nicht an IBM vorbei, denn am schnellsten läuft die Oracle Datenbank auf Großrechnern von IBM. IBM bietet aber selbst eine Datenbank als Konkurrenz zu Oracle an. Jetzt forciert Oracle einen neuen Weg, den Ellison in Kopenhagen eindringlich darstellte. Statt auf einem einzigen Rechner zu laufen, dessen Kapazität irgendwann begrenzt ist, womit auch die Datenbank-Kapazität an ihre Grenze stößt, läuft Oracle auf einem Cluster (Verbund) von Rechnern. Ausfallssicher Der Vorteil: Wird mehr Kapazität gebraucht, werden mehr Server in den Cluster eingebunden. Fällt einer oder mehrere Server aus, läuft die Datenbank trotzdem weiter, während die Ausfälle ersetzt werden. Selbst bei Katastrophen kann die Datenbank so am Laufen gehalten werden, wenn der Cluster entfernte Server einschließt. Oracle, preist Ellison sein Produkt, sei die einzige Datenbank, die auf Clustern anstelle von Großrechner laufen kann. Dafür setzt Oracle künftig auf "Lintel", eine Kombination von (billigen) Intelservern mit dem Open Source System Linux. Das ergebe mehr Leistung zu einem Bruchteil des Geldes, den IBM-Großrechner kosten, sagt Ellison. So überzeugt ist Oracle davon, dass das Unternehmen seine eigenen Datenbanken bis Jahresende komplett auf Linux-Intel-Server umstellen will. Keine schlechte Referenz, da Oracle nicht nur Hersteller, sondern auch einer der größten Anwender seiner eigenen Technologie ist. Der Schachzug hat noch eine andere Richtung: Denn er entzweit das "Wintel"-Duopol von Windows und Intel und will es für den Unternehmensbereich durch ein Lintel-Duopol ersetzen. Da Linux anders als Microsoft ein Reich ohne König ist, macht dies den König des Oracle-Reichs mächtiger. Und noch was: Microsoft ist, neben IBM, ein weiterer Oracle-Konkurrent auf dem Datenbankfeld. (Helmut Spudich aus Kopenhagen/DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2002)