Das Warten hat sich nicht wirklich gelohnt. Bis zur Wachstumsprognose wollte Kanzler Wolfgang Schüssel unbedingt zuwarten und sich erst dann zur Steuerreform äußern. Monatelang hat er dem Drängen der FPÖ getrotzt. Jetzt ist die Wachstumsprognose da - die ökonomische Erleuchtung aber nicht. Helmut Kramer, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, formuliert das trocken so: "Wenn der Kanzler erwartet hat, man könne mit der Prognose klarer sehen, müssen wir sagen: Das Bild ist nicht viel klarer geworden." Für die Ökonomen vielleicht. Für Politiker hingegen schon: Schüssel hat die Steuerreform immer an ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent geknüpft - was insofern risikolos war, weil die Ökonomen seit Monaten eben von diesen 2,5 Prozent ausgehen. Wenig überraschend haben sie nun auch die 2,5 prognostiziert, womit die Koalition vollmundig den Startschuss zur Steuerreform verkünden kann.Die 2,5 Prozent sind nur für den Kanzler die magische Grenze. Vernünftig begründbar sind sie nicht: Denn der Spagat zwischen Nulldefizit und Steuerreform geht sich bei diesem Wachstum nicht aus. Aber auch für diesen Widerspruch hat die Koalition in den Monaten des Wartens argumentativ vorgesorgt - und das Nulldefizit, jahrelang sowohl Marketinggag als auch Quasireligion, sanft entsorgt. Gezwungenermaßen: Nachdem sich das Nulldefizit schon heuer nicht einmal auf dem Papier ausgegangen ist, muss man es im kommenden Wahl- und Steuerreformjahr mit der Null auch nicht so genau nehmen, so die neue ÖVP-FPÖ-Argumentationslinie. Womit zwar nicht wirtschaftlich, aber politisch alle Voraussetzungen geschaffen wären, im Wahljahr mit einem Steuerzuckerl aufzuwarten. Bis auf die Kleinigkeit, dass sich ÖVP und FPÖ alles andere als einig sind, wem denn dieses Wahlzuckerl zugute kommen soll: kleinen Einkommen bis 3000 Euro, sagt die FPÖ - in der verzweifelten Hoffnung, damit dem so genannten kleinen Mann Sparmaßnahmen von Ambulanzgebühr bis Unfallrentensteuer wenigstens nachträglich ein bisschen zu versüßen. Dieser kleine Mann, dem die FPÖ in Oppositionszeiten das Blaue vom Himmel versprochen hat, war aber nie die Hauptklientel der ÖVP. Folgerichtig setzt die darauf, den Unternehmern noch ein paar Steuer-Gründe zukommen zu lassen, um ihr die Wahltreue zu halten. Völlig unterschiedliche Prioritäten, die wahre Zuckerl-Verteilungskämpfe erwarten lassen. Beide gewünschten Zielgruppen wird man schwer gleichzeitig bedienen können. Denn eine ökonomische Wahrheit lässt sich auch bei noch so viel PR-Geschick nicht wegargumentieren: Der Spielraum für eine Steuerreform ist äußerst gering - falls das Wahlzuckerl, woran etwa Rechnungshofpräsident Franz Fiedler zweifelt, überhaupt den Namen Steuerreform verdient. Um aber wenigstens ein Steuerreförmchen zustande zu bringen, sind weitere Sparmaßnahmen auf der Ausgabenseite unumgänglich. Womit die Verteilungskämpfe bei der Budgeterstellung beginnen: Die FPÖ hat sich mit den Beamten ein schön populistisches Feindbild auserkoren, auf deren Kosten sie nicht nur politisches Kleingeld sammeln, sondern auch erkleckliche Beträge für die Steuerreform einsparen will. FPÖ-Ideen wie kündbare Beamte oder niedrigere Beamtenpensionen lösen aber bei der ÖVP alles andere als Begeisterungsstürme aus. Unschwer zu prognostizieren, dass die ÖVP im Gegenzug die Budgetschrauben eher bei der FPÖ-Klientel eng anziehen wird wollen. Denn für teure koalitionäre Maximalkompromisse wie bei der letzten rot-schwarzen Steuerreform, bei der einfach die Entlastungswünsche beider Koalitionspartner verwirklicht wurden und auf ausgabenseitiges Sparen großzügig verzichtet wurde, gibt es null Spielraum. Außer Schwarz-Blau kopiert, was bei Rot-Schwarz in Nachhinein als sozialistische Verschwendung gegeißelt wurde: eine Steuerreform auf Pump. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.6.2002)