Hier feiert man die großen Alten, die wir unter den Namen Miles Davis und John Coltrane kennen. Und jene, die sie hochleben lassen, darf man vom Vorwurf, eine Alibiaktion absolviert zu haben, freisprechen. Den direktesten und glaubwürdigsten Zugang zur Kunst der beiden verstorbenen Trendsetter darf man Herbie Hancock zubilligen - er war in den 60er-Jahren Mitglied des zweiten bedeutenden Quintetts von Miles Davis. Tenorsaxophonist Michael Brecker ist im gewissen Sinne auch ein Kind von Davis. Schließlich ist er ein Bewohner des Planeten Jazzrock, von dem man weiß, dass er auf Konzeptideen von Miles zurückgeht. Natürlich aber ist Brecker, wie die meisten Saxophonisten der 70er- und 80er-Jahre, auch nicht ohne den Einfluss von Coltrane vorstellbar, wenngleich er seine Arbeit mitunter eher glatt anlegt und auch keine Scheu zeigt, im Popbereich zu arbeiten. Roy Hargrove schließlich. Der Trompeter entstammt der Generation der Neotraditionalisten, die im Windschatten von Retro-Guru Wynton Marsalis ihre Huldigungen an die Jazzgeschichte absolvieren und die das Genre nicht mehr um neue Kapitel zu ergänzen gewillt sind. Natürlich ist das hier auch keine innovative Sache geworden. Hard Bop, polytonale Harmonik: Die Grundausrüstung eines jeden Jazzers von heute bildet die Sprachbasis dieser Huldigung. Dennoch: Zusammen mit Bassist John Patitucci und Schlagzeuger Brian Blade gelingt es dem Trio, jene Intensität des Zusammenspiels zu entfachen, die auch eine historische Rückschau legitim erscheinen lässt. Besonders auffällig die Version von Coltranes schwebender Ballade Naima. Hier legt Brecker eine Solofantasie hin, die seine ganze technische Meisterschaft fordert und doch auch spüren lässt, dass es dem Instrumentalritter mit dem Hang zum "Flageolettgesang" ernst ist mit dem, was er sagen will. Mit den vielen Noten. Das Trio, das diese Liveaufnahme 2001 in der Massey Hall in Toronto eingespielt hat, gastiert übrigens kommenden Mittwoch in der Staatsoper beim Jazzfest Wien. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.6.2002)