"Der Markt ist momentan sehr eng." Gegen Jubelmeldungen und Pauschaleuphorie wendet sich der Leiter des Wiener Gregor-Mendel-Instituts (GMI), Dieter Schweizer, in der Frage eines prognostizierten Fachkräftemangels in der Biotechnologie-Industrie. Eine auf den ersten Blick unerwartete Analyse, handelt es sich doch um eine der wichtigsten Zukunftsbranchen: Eine Studie der Managementberater Cap Gemini Ernst & Young Consulting errechnete für die nächsten zwei Jahre einen Bedarf an zusätzlich 700 Facharbeitern. Drei neue Fachhochschullehrgänge nehmen im kommenden Herbst ihren Betrieb auf (Hagenberg, Tulln, Wien). Die Donauuniversität startet ebenfalls im Herbst mit dem Studium "Medizinische und Pharmazeutische Biologie". Die Akademie der Wissenschaften eröffnet ab 2004 drei neue Institute. An der Auffüllung etwaiger personeller Lücken wird also gearbeitet.Es geht um Expansion und einen Mehrbedarf an Arbeitskräften. In den vergangenen Jahren ist es vor allem im Raum Wien und Umgebung mit dem Grundlagenforschungsinstitut von Boehringer-Ingelheim für Molekulare Pathologie (IMP), dem Biozentrum und dem neuen AKH zu einem Aufschwung gekommen. Die große Frage jedoch ist, ob sich ein solcher Trend fortsetzen und im internationalen Konkurrenzkampf noch verstärken lässt. Genforscher Schweizer fordert denn auch eine differenzierte Sichtweise. Man müsse einerseits zwischen Forschung/Entwicklung und Produktion unterscheiden, andererseits aber auch, in welchen Bereichen Fachkräftemangel zu beobachten sei. Weite Teile seien nämlich gut abgedeckt, nur in Nischen wie der Bioinformatik gebe es in der Praxis "noch zu wenig ausgebildete Leute". Engpässe Dieter Tomek, Personalchef des Pharmakonzerns Boehringer-Ingelheim, rechnet hingegen schon bald mit Engpässen bei Facharbeitern. Noch gebe es zwar keine Probleme, Spezialisten zu rekrutieren, aber "vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Verengung auf dem Arbeitskräftemarkt" müsse schon jetzt personalpolitisch gegengesteuert werden. Die errechnete Zahl von 700 fehlenden Fachkräften hält er für "an der unteren Grenze" angesetzt. Der internationale Großkonzern baut deshalb auf künftige Absolventen von Fachhochschulen wegen ihrer "kurzen Einarbeitungszeit mit erstklassigem fachlichen Know-how", erläutert Tomek. "Der Mittelbau ist da", erklärt GMI-Leiter Dieter Schweizer und meint den Wissenschaftsbetrieb. Strikt davon zu trennen seien allerdings Jobs für hoch dotierte Spitzenwissenschafter. Dort herrsche ein "sehr harter Abwerbekampf", denn das Angebot an wirklich kompetentem und auch für österreichische Verhältnisse leistbarem Personal sei nicht sehr groß. "Die Leute findet man überhaupt nur, indem man sie direkt anspricht", erklärt Schweizer das auch in der Biotechnologie geltende marktwirtschaftliche Prinzip "Wer am besten bezahlt, kriegt die besten Leute." IMP-Chef Frank Eisenhaber schließt sich an: "Relativ wenige, aber sehr intensiv ausgebildete Menschen" benötige die Branche: "Routinearbeit gibt es bei uns nicht. Die erledigt der Computer." Eisenhaber sieht die Zukunft Österreichs als international wettbewerbsfähiger Forschungsstandort ohnehin nicht so rosig: "Die Universitätslandschaft ist strukturell unbeweglich und bietet schlechten Boden für neue Gebiete. Gebe es in Wien beispielsweise genügend Laborgebäude für außeruniversitären Einrichtungen, wäre auch eine Ausbildung - zum Beispiel als Doktorand - im realen Forschungsprozess möglich und wir hätten in drei Jahren keinen Mangel an qualifizierten Kräften." Es werde, klagt Eisenhaber, zu zögerlich investiert. (Doris Priesching/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 6. 2002)