Und da radierst du durch Mecklenburg-Vorpommern,

schwingst deine Mühle in eine langgezogene Linkskurve, das Getriebe singt ein orgiastisches Hallelujah, das Heck kommt, zuerst sacht, dann gemein, die Stoßdämpfer singen das Lied von der untergeordneten Landstraße und plötzlich sagt dein Copilot mit der Stimme eines Apollo-13-Commanders: "Wir kommen jetzt nach Quassel."

foto: kommunikaze

"Jajajajajajaja Quassel", pfeift es durch dein Gehirn.

700 Kilometer hast du zu diesem Zeitpunkt bereits hinter dir. Hast dich von keiner Kurve einengen und keiner Geraden einschüchtern lassen, hast nur aufgemerkt, wenn dir dein Copilot ein "da durch", "da rein", "da weg" ins Lenkrad diktiert hat, bist gesessen, stoisch, konzentriert, wortlos, angespannt, nervös, immer den Blick nach vorn, Gas, schalten, bremsen, Gas, noch mehr Gas. Du fährst ein Rennen. Du fährst DEIN Rennen.

foto: kommunikaze

Du fährst die "Fireball 2002".

Das erste illegale Straßenrennen quer durch Deutschland. Und das, liebe Freunde der satellitengesteuerten Einparkhilfe, ist nichts für Luschen. Das Reglement in Kurzfassung: Zugelassen sind Autos bis Baujahr 1980, keine Tuning-Monster, kein Überroll-Trimm. Distanz 800 Kilometer. Vier bis kurz vor dem Start geheim gehaltene Checkpoints sind anzufahren. Wie man dorthin kommt, ist egal, Hauptsache man kommt und das schnell.

grafik: motoraver.de

Gemach, Gemach.

Das selbsternannte Team von derStandard.at setzte im Vorfeld des Rambazambas auf souveräne Abgeklärtheit. Der Grund war nicht zuletzt er: Ford Taunus Coupe - das wichtigste Mitglied der Fireball-Mission. Rufname: "Knudsen-Taunus". Fakten: Baujahr 1972. 68 PS. 1.6 Liter. Emotionalitäten: Das erste Auto. Um 15.000 Öschis gekauft. Ein Jahr gefahren. Seitdem: Sommerspritztouren. Ein alter Herr mit etwas schrillem Habitus. Er will und braucht es gemütlich. Also. Punkt eins: Gemäßigte Abfahrt und letzter Abschiedsgruß in Richtung Heimat.

foto: kommunikaze
foto: kommunikaze
foto: kommunikaze

Zwischenstopp in Berlin.

Und das war gut so. Nach hunderten Kilometern als in rotes Blech gepacktes Freiwild, nach der tausendsten Lichthupe, nach dem hundertausendsten Verpiss-dich-von-meiner-linken-Spur-Alarm, nach der millionsten Teutonen-Wuchtbrumme, die dein Heck penetriert, weißt du: Deutsche Autobahnen sind böse.

foto: kommunikaze

Weiter nach Hamburg.

Und während du so im mattschwarzen Testosteron-Geäder des bundesdeutschen Automenschen mitschwimmst, geht es hin und her in deinem Kopf: "Illegales Straßenrennen". Da tauchen Movie-Maniacs wie Steve McQueen, James Dean, ja auch Burt Reynolds auf. Gehetzt, auf der Flucht, meistens vor sich selbst. Dahinter: Die Bullen. Währenddessen: Markige Sprüche, Instant-Weisheiten zwischen "Hast du mal ne Zigarette" und "Komm, wir müssen abhauen." Dahinter: Noch mehr Bullen.

foto: kommunikaze

Bild nicht mehr verfügbar.

Und du bekommst ein klein wenig Respekt.

Du rechnest mit allem, nur nicht mit ...

foto: archiv

... dem da.

Da stand er also, der Konkurrent. Der Morgen graute und die Realität pinkelte einem zum Auftakt kräftig in den Tank. Da war´s aber schon zu spät. Da standen Taunus, der Ford, Stimeder, der Co-Pilot und Kommunikaze, der Lenker bereits auf dem Hinterhof einer ehemaligen Bahnhofswerkstätte. Dem Sammelplatz, dem Basislager, dem Anfangs- und Endpunkt der Fireball 2002.

foto: kommunikaze

Dem "Motoraver"-Home.

Micha, Tobi und Helge sind der Kern der "Motoraver"-Truppe. Ihr Ziel: Die Ausgestaltung der "Drive-Style"-Experience. Carcult. Die Motoraver aus Hamburg sind in der Pole Position, bereits vor einem Jahr warfen sie ihr erstes Magazin auf den Markt. Inhalt: Der Mikrokosmos zwischen Kopfstützenschonern und Opel Diplo. Keine Autozeitschrift sondern handverlesenes Drive & Style. In etwas umwölkter Stimmung wurde die Idee geboren, ein illegales Straßenrennen zu organisieren. Die Konsequenz: Fireball 2002.

montage: kommunikaze

Während die anderen Geschosse einrollen

erklärt Tobias Meyer, der Ober-"Raver" und hauptberufliche Rechtsanwalt was Sache ist. "Neee", hebt er in norddeutscher Nüchernheit an, "neee, das hat nichts mit Irren zu tun, die mit 200 durch´s Ortsgebiet rasen. Da haben wir schon selbst dafür gesorgt." 500 Anmeldungen hätten sie bekommen. 25 Starter blieben über. Alle handverlesen. "Wir haben entweder Leute genommen, die wir kennen oder Fahrer, die aufgrund ihrer Bewerbung seriös gewirkt haben."

Jasmin ist Motorraverin.

Die Race-Amazone hat vor zehn Jahren einen Volvo Amazon vor der endgültigen Abberufung bewahrt. "Nönö, hab ich gesagt, der wird nicht zerschreddert. Den behalt ich mir." Nun ist er der ihre und ihr Auserwählter bei der Fireball 2002.

foto: kommunikaze

So wie jeder Teilnehmer

hat auch sie den genauen Renntermin erst wenige Wochen zuvor erfahren. In der letzten Ausgabe von "Motoraver" hieß es dazu lapidar "an einem Wochenende im Juni". Nur die Auserwählten wurden rechtzeitig kontaktiert. Also alles: Geheimgeheimgeheim. Tobias Meyer und die Seinen wollten sichergehen: Kein Info-Overboost, keine Polizei. Trotz offizieller Ausschreibung als "Orientierungsfahrt".

foto: kommunikaze

Tobias hat die Peilung.

"Ich wollte eigentlich immer schon etwas anderes unterm Arsch haben. Keine Plastikkarre, sondern ein richtiges Auto", hebt er nahezu unaufgefordert zum großen Waswowiewarum an. Die Liebe zu seinem 68er Commodore GS musste mühevoll erkämpft werden. "Der TÜV macht bei den fehlenden Kopfstützen Probleme." Doch schließlich: Alles knorke. Nun ist Tobias auf Kurs.

foto: kommunikaze

Nicht zuletzt die erlesene Verpflegung

machte den 3-Liter-Hubraum-Besitzer ab diesem Zeitpunkt zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten. "Das hat mir die Liebste eingepackt." Dann ging´s an das Race-Finishing.

foto: kommunikaze

Kennzeichen runterklappen.

Radar-Abwehr. Verstehe. Der Fahrer des "Red Rocket Racing Teams" war sich der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst.

foto: kommunikaze

Andere ebenso.

Diesmal die Glitterspray-Variante, auf dass jedes Blitzlicht erblinde. Schön. Die Sache nahm Konturen an.

Tatsächlich.

Ließ man den Blick über den Hinterhof schweifen, zeigte sich langsam aber sicher die "Dark Side" der Zusammenkunft. Der zu Beginn inszenierten Lockerheit wurde mit gewissenhaftem Muskelspiel zuleibe gerückt.

foto: kommunikaze
foto: kommunikaze
foto: kommunikaze
foto: kommunikaze

Er und seine Combo

waren überhaupt die Spezialisten. Ihr Mercedes im Gaza-Streifen-Trimm war nichts Milderes als ein High-Tech-Schlachtschiff. Satelliten-Navigationssystem, Zusatztank und allerlei weiteres technisches Rüstzeug nebst dem offen zur Schau getragenen Engagement der Kombattanten machten den W 116er zum Top-Favoriten.

foto: kommunikaze

Spätestens zu diesem Zeitpunkt

versprichst du dir in die hohle Hand, dass du für´s nächste Mal einen Dreilitersechszylinder reinschraubst, dir ein paar ordentliche Walzen draufsteckst und ...

foto: kommunikaze

... dir einen anderen Co-Piloten suchst.

Aber wie so oft im Leben: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Während sich Stimeder von dem Wettrüsten vor seiner Autotüre nicht kirre machen ließ ...

foto: kommunikaze

... folgte der erste Höhepunkt.

Startnummernausgabe. "Motoraver" Helge machte den Master of Cermony. Jedem Teilnehmer seine Nummer. Das Losglück entschied.

Begleitet wurde Helge

von seiner bezaubernden Assistentin.

foto: kommunikaze

Das rief auch Stimeder auf den Plan.

Prompt schälte er sich aus dem kuscheligen Federkern-Fauteuil und zog uns die schönste Startnummer von allen. Sechs. Ein leises aber deutlich wahrnehmbares Raunen ging durch die Menge.

foto: kommunikaze

Nun war Chef-Raver Tobias Meyer am Zug.

Ausgabe der Fahrer-Kitts. Ein Rucksack voller Überraschungen. Knackig-enge T-Shirts, Highway-Patrol-Sonnenbrillen, Flaschenöffner, energetische Erfrischungsgetränke und nicht zuletzt ... der Plan. Die Road-Map. Das Heiligste.

foto: kommunikaze

Vier Kringel für den Sieg.

Das waren sie also, die Checkpoints, die es anzufahren galt. Alle rund um Hamburg. Nummer eins: Bad Bederkesa. Nummer zwei: Kirchdorf. Nummer drei: Bad Bodenteich. Nummer vier: Quassel bei Lübteen. Wie man dorthinkam - Eigenregie, einziges Kriterium: Die Reihenfolge. Distanz: 700 bis 800 Kilometer.

foto: kommunikaze

Nach kurzer Orientierung

und der Abfrage diverser Staumelder und GPS-Systeme ...

foto: kommunikaze

Startaufstellung.

Und dann passierte es.

foto: kommunikaze

DIE KATASTROPHE!!!!!

Die zehn Meter vom Parkplatz zur Startposition trieb Mister Ford das Grüne aus dem Motorblock. Spratzend und spritzend übergab er sich auf den Asphalt. Super. Du reißt die Haube auf und in diesem Moment merkst du zum ersten Mal, dass der Motorraum der Schambereich deines Autos ist. Und dann hast du hundert Zeigefinger in deinem Motorraum und dahinter schallt wie aus einem Chor ein einziges Wort hervor: "Wasserpumpe".

foto: kommunikaze

"Kein Zweifel",

sagte Falco. Er sagte am lautesten von allen "Kein Zweifel". Er wusste Rat, ihm konnte eine derartige Lapalie nicht die Konzentration auf seinen Race rauben. Falco hatte, während der Motor immer heißer und der Wagen immer blässer wurde, genau einen denkwürdigen Satz parat: "Fahrt mal an die Tanke und kippt ordentlich Kühlerdicht rein. Das hilft."

foto: kommunikaze

Also "Cool down".

Und die noch verbliebenen Säfte auf den Nukleus eines Rennens konzentriert: Den Start. Es sollte ein denkwürdiger werden.

foto: kommunikaze

UUUUUUUUUnd GO!

Mit qualmendem Motor und ansatzweise quietschenden Reifen machte sich das "Släsch-Leichtsinn"-Team auf den Weg. Doch während die anderen den Asphalt rund um Hamburg unter die Räder nahmen, war für Taunus & Co. erstmal Boxenstopp angesagt. Zwei Flaschen "Kühlerdichtung" von der nächsten Tanke, eine halbe Stunde warten. Bangen. Ausharren. Und dann die erlösende Erkenntnis. Er hielt dicht.

foto: kommunikaze

Ab sofort

sollten nur noch diese Drei das Triumphirat in der Mittelkonsole bilden. Mit einstündigem Delay wurde Checkpoint eins anvisiert.

foto: kommunikaze

Wir nahmen Fahrt auf.

Die Temperaturanzeige fest im Blick, einige zuständige Schutzbefohlene anrufend.

Eine Odyssee nahm ihren Lauf.

Bewusstseinserweiternd war sie, gewiss. Du weißt, dass Norddeutschland sehr flach ist. Du lernst, dass die Gerade in dieser Region die bestimmende Konstante ist. Und du hast ein gewisses Unbehaben, weil du ahnst, was die vor dir mit diesem Asphaltstrich anzufangen wussten.

foto: kommunikaze

Nach ein paar Kilometern übermannt dich das Rennfieber.

Du lässt dir einfach nicht mehr von irgendwelchen hysterisch lackierten Trend-Bierkästen die Laune verderben. Du gibst einfach Gas. Machst den sanften Drift zu deinem ständigen Begleiter. Gehst später in die Eisen, drückst früher aufs Tempo. Hoffst auf die ersten Ausfälle. Hoffst, das alles gut geht.

foto: kommunikaze

Stimeder sagt "Bad Bederkesa".

Wir brettern in den Ort. Voll ins Gebrems. Der erste Checkpoint. Abstempeln. Sind wir die Letzten? Ein Lächeln. Wir sind die Letzten. Aber nicht mehr lange. Kurz nach der Ortsausfahrt steht ein Ford Capri. Bremsdefekt. Wir winken. Er winkt. Wir nehmen wieder Fahrt auf. Stimeder grient.

foto: kommunikaze

Dann die Monotonie.

Zwischen Bremen und Uelzen liegen 500 Kilometer hinter uns. Stimeder navigiert. Gibt Anweisungen. Kurz. Knapp. Bei Checkpoint drei wird uns gesagt, dass der nächste Fireballer nur zehn Minuten vor uns liegt. Hoffnung. Hinter jeder Kurve könnte er auftauchen. Gas. Dann per SMS: "Bullenalarm". Wir waren gewarnt. Doch da, wo sie hätten sein sollen, waren keine.

foto: kommunikaze

Nach sieben Stunden: Quassel.

Der vierte und letzte Checkpoint vor Hamburg. Er ist nicht mehr besetzt. Wir liegen zwei Stunden hinter dem Pulk. Keine Hoffnung mehr auf Anschluss. Wir sind sauer. Verdammt sauer. Die Fahrt nach Hamburg - ein müdes Taxieren und Hochrechnen der tatsächlichen Chancen. Resümee: Hauptsache die Kiste hat gehalten.

foto: derstandard.at

Es ist dunkel,

als wir wieder in den "Motoraver"-Hinterhof einbiegen. Zehn Stunden Hasard liegen hinter uns. Die Siegerfeier ist nahtlos in eine schrille Party-Sause übergegangen. Wir sind definitv die Letzten. Platz 25. Falco füttert uns mit Informationen. Falco wurde Dritter. Was, nunja, nicht von ungefähr kam.

bild: bild

Falco fährt einen etwas anderen Ford Granada.

Etwas tiefer, etwas breiter, etwas stärker. Und er erzählt, wie er sich ein Duell mit Timos Ascona B, dem späteren Sieger und einem Porsche 911 geliefert hat. Ein Duell am Limit habe er sich mit der Fahrerin geliefert. "Die war kanonenhart", zollt Falco den späteren Zweitplatzierten Respekt. Und er erzählt, wie ihr Porsche in eine Wiese abgerauscht ist, aber wieder auf den Asphalt zurückbugsiert wurde.

foto: kommunikaze

Und er erzählt

von dem High-Tech-Mercedes im Gaza-Streifen-Trimm, der wie der sichere Sieger aussah. Doch kurz vor Hamburg, "Blösch", habe der Zylinderkopf das Zeitliche gesegnet. Favoritensterben also auch bei der Fireball 2002. Ansonsten: Keine Unfälle, keine Zwischenfälle, alle Cracks heil von der Piste zurück.

foto: kommunikaze

Und das, das ist Sieger.

Timos Opel Ascona B. Fahrzeit: Knappe sieben Stunden. Der Rest ist Schweigen. (kommunikaze)

INFOS und FACTS
www.motoraver.de

foto: kommunikaze