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Der EuGH hat vergangene Woche der Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH (HI) im Rechtsstreit mit der Stadt Wien Recht gegeben. Die Stadt hatte die Ausschreibung einer Projektleitung für die Gesamtkonzeption der Speiseversorgung in den Einrichtungen des Wiener Krankenanstaltenverbundes nach Legung der Angebote widerrufen (DER STANDARD vom 20. Juni 2002). Da das Wiener Landesvergabegesetz eine Anfechtung des Widerrufs nicht vorsah, wurde ein Nachprüfungsantrag der HI zurückgewiesen. Wie schon Generalanwalt Tizzano in seinem Schlussantrag vom 28. Juni 2001, entschied nun auch der EuGH (C-92/00 vom 18. Juni 2002), dass der Widerruf einer Ausschreibung eine gesondert anfechtbare Entscheidung sei. Seine Aufhebung müsse daher in einem Nachprüfungsverfahren ermöglicht werden. Ein bloßer Schadensersatzanspruch reiche dafür nicht aus. Der EuGH hält darüber hinaus fest, dass der Begriff "Entscheidung" in einem Vergabeverfahren weit auszulegen sei, da sonst die Wirksamkeit des vergabespezifischen Rechtsschutzes beeinträchtigt würde. Besondere Bedeutung Diese EuGH-Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für das erst kürzlich beschlossene Bundesvergabegesetz 2002, das mit 1. September in Kraft tritt und dessen materieller Teil ab 1. Jänner 2003 sukzessive auch für die Länder gilt. Darin ist derzeit eine gesonderte Anfechtbarkeit des Widerrufs der Ausschreibung nicht vorgesehen, sondern nur eine (nachträgliche) Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs. Der Gesetzgeber wird daher gehalten sein, in Anpassung an das EuGH-Urteil diese Bestimmung möglichst vor Inkrafttreten des Gesetzes zu sanieren und den Widerruf gesondert anfechtbar zu gestalten. Ebenso wie für die Zuschlagsentscheidung, wird der Auftraggeber eine entsprechende Vormitteilung über seine Entscheidung, einen Widerruf durchzuführen, an die Bieter machen müssen. Da der Widerruf das Vergabeverfahren beendet, würden die Bieter sonst vor vollendete Tatsachen gestellt und eine Anfechtung sinnlos werden. Zusätzlicher Reformbedarf könnte sich aus der Feststellung des EuGH ergeben, dass Mitgliedstaaten für jede Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber in Vergabeverfahren einen einstweiligen Rechtsschutz vorsehen müssen. Damit wird das im neuen Bundesvergabegesetz 2002 vorgesehene System, wonach "gesondert anfechtbare Entscheidungen" und "nicht gesondert anfechtbare Entscheidungen" des Auftraggebers unterschieden werden und Letztere nur zusammen mit Ersteren anfechtbar sein sollen, grundsätzlich infrage gestellt. So wäre z. B. das Ausscheiden eines Bieters vom Vergabeverfahren erst mit der nächstfolgenden gesondert anfechtbaren Entscheidung - meistens die Zuschlagsentscheidung - anfechtbar. So schnell wie möglich Dies würde aber den EU-Vergaberichtlinien widersprechen, laut denen der einstweilige Rechtsschutz "so schnell wie möglich" zu gewähren ist und davon nach dem vorliegenden EuGH-Urteil wohl auch die im BVergG 2002 als "nicht gesondert anfechtbar" bezeichneten Entscheidungen erfasst sind. Ansonsten würde ein schneller Rechtsschutz bezüglich aller Entscheidungen des Auftraggebers gerade nicht garantiert (z.B. kann zwischen dem Ausscheiden eines Bieters und der Zuschlagsentscheidung ein Zeitraum von mehreren Monaten liegen). Somit ist wohl auch für die im BVergG 2002 als "nicht gesondert anfechtbar" bezeichneten Entscheidungen eine sofortige Anfechtbarkeit zu ermöglichen. Insgesamt betrachtet bedeutet das EuGH-Urteil einen wesentlichen Schritt in Richtung einer Verbesserung des Bieterschutzes in Vergabeverfahren. Die in diesem Punkt restriktive Tendenz des BVergG 2002 wird dadurch aufgelockert. Für viele Bieter bzw. Teilnehmer an einem Vergabeverfahren ist das erfreulich. (DER STANDARD, Printausgabe 25.6.2002)