Mit immer neuen Exzessen an Gewalt dreht sich die Situation zwischen Israelis und Palästinensern in einen Mahlstrom, der beide zu verschlingen droht. Israel verliert täglich mehr von seinem Status als zivilisierter, demokratischer Staat und die Palästinenser scheinen zu nichts anderem fähig zu sein als zu einem Kult des Todes, der die eigene Jugend und unschuldige israelische Zivilisten vernichtet. Die Kombattanten scheinen jedoch auf einem eigenen, unbeirrbaren Kurs ins Verderben zu sein. Was etwa Ariel Sharon kürzlich vor dem Außenpolitischen Ausschuss des US-Senats in geheimer Sitzung sagte, ließ etlichen von ihnen den Mund offen stehen. Es war ein Programm für einen hundertjährigen Krieg mit den Arabern. Sharon erklärte "Das Land Israel" (inklusive Judäa und Samaria, dem heutigen Westjordanland, wo ein palästinensischer Staat entstehen soll), wäre in der Bibel den Juden zugesprochen worden: "Das hat mir der Papst erklärt." Er sei zwar bereit zu einem Kompromiss, aber der werde nicht in den nächsten zehn Jahren kommen. Überhaupt stünden weitere hundert Jahre Kampf mit den Arabern bevor. Deshalb müsse Israel, in dem zurzeit fünf Millionen jüdische und eine Million arabischer Staatsbürger wohnen, mindestens eine Million Juden zur Einwanderung motivieren. Beim gegenwärtigen Geburtenverhältnis würden die Juden in zehn Jahren nur noch 45 Prozent der Bevölkerung "im Land Israel" stellen. Das ist ein Programm für die Katastrophe. Denn es bedeutet eine ewige Besatzung im Westjordanland (Gaza können die Palästinenser allein haben, deutet Sharon an) und Dauerterrorismus. Das hält die israelische Gesellschaft nicht aus. Aber auch die Selbstmordattentate der Palästinenser und der kranke Märtyrerkult mit stolzen Heldenmüttern beschädigt die palästinensische Gesellschaft für sehr lange Zeit. Wie soll ein halbwegs zivilisiertes Staatswesen auf dem Boden einer blutbesoffenen Hysterie entstehen? Tatsächlich wandten sich jetzt 55 palästinensische Intellektuelle unter großem persönlichen Risiko gegen die Selbstmordanschläge und verurteilten sie als zugleich moralisch falsch und ineffektiv. Auch Arafat (der jetzt in einer weiteren Erbärmlichkeit meinte, vielleicht hätte er den Clinton-Plan doch annehmen sollen) spricht sich zumindest formal gegen die Attentate aus (zugleich sagt er, Palästina brauche "tausend Märtyrer"). Aber sind nicht die Attentate die einzige Waffe der Palästinenser? Nein, es gäbe eine gewaltlose, aber keineswegs aussichtslose Alternative. Warum haben es die Palästinenser nie mit Massendemonstrationen versucht ? Was soll die israelische Armee machen, wenn sich ein paar Hunderttausend Menschen zum Beispiel um den Bauplatz einer neuen illegalen Siedlung versammeln? Hineinschießen? Was soll Sharon gegen einen friedlichen Marsch von 500.000 gegen den Belagerungsring um Ramallah und andere Städte tun? Die Panzer hineinfahren lassen? Mit Massendemonstrationen wurden die KP-Regime in der DDR und in der Tschechoslowakei gestürzt. Die "samtene Revolution" war erfolgreich, weil nicht einmal die ostdeutschen und tschechoslowakischen Stalinisten den Nerv hatten, ein Blutbad anzurichten. Israel ist trotz allem keine brutale Diktatur und führt schon gar keinen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser, wie manche dubiose Araberfreunde daherlügen. Es ist allerdings eine ungerechte Besatzungsmacht. Warum die nicht mit demokratischen Mitteln bekämpfen? Warum nicht beweisen, dass terroristische Heimtücke nicht das einzige Mittel der Palästinenser ist? hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Printausgabe, 25.6.2002)