Was auf den ersten Blick wie eine Hypothek im Wahlkampf erschien, ist bei näherer Betrachtung ein kluger Schachzug. Knapp 90 Tage vor der Bundestagswahl hat Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe überraschend seinen Rücktritt angekündigt. Damit hat der dienstälteste deutsche Ministerpräsident den Weg für seinen Kronprinzen Matthias Platzeck frei gemacht. Stolpe kündigte gleichzeitig an, sich im Wahlkampf zu engagieren. Noch in dieser Woche will er ein Büro in der SPD-Wahlkampfzentrale beziehen.

Stolpe soll damit zu Gerhard Schröders Wunderwuzzi für den Osten werden. Stolpe ist die Antwort der SPD auf Lothar Späth, Edmund Stoibers CDU-Mann für die neuen Bundesländer. Stolpe genießt in besonderem Maße Vertrauen bei den Menschen in Ostdeutschland. Anders als der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Späth, der in den vergangenen Jahren im ostdeutschen Jena als Manager reüssierte, ist Stolpe wirklich "einer der ihren". Er könnte der SPD einen Mobilisierungsschub in Ostdeutschland bringen.

Stolpe dürfte sich aber nicht nur für den Wahlkampf in Stellung gebracht haben. Er war es, der vor drei Wochen die Option einer großen Koalition nach der Wahl im September ins Spiel brachte. Dass Schröder als Juniorpartner in ein solches Bündnis geht, gilt als ausgeschlossen. Stolpe dagegen, der in Brandenburg bereits gute Erfahrungen mit diesem Modell gemacht hat, bietet sich dafür an. Anders als in Brandenburg ist auf Bundesebene ohnedies kein Kronprinz in Sicht, der Schröder beerben könnte. Eine Unbekannte gibt es aber noch: Bisher hatte es nur Hinweise gegeben, dass Stolpe als Kirchenjurist jahrelang mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet habe. Sollten sich noch Beweise für eine wissentliche Stasi-Spitzeltätigkeit ergeben, könnte sich Stolpe doch noch als Hypothek für die SPD herausstellen. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2002)