Unternehmen
Alle Räder stehen still
Probegalopp vor Streik-Herbst - Zweiter Streik innerhalb eines Monats gegen geplante Privatisierung
Wien - "Der Postbus hat den
Ersten Weltkrieg überlebt, der
Postbus hat den Zweiten
Weltkrieg überlebt, wir werden auch diese Regierung
überleben." Robert Wurm, Betriebsratschef beim größten
österreichischen Busunternehmen, trommelt gegen die
Privatisierungsgelüste der
schwarz-blauen Koalition.Ob das Dorotheum unter
den Hammer kam, Austria Tabak in britisches Eigentum
überging oder die Telekom
frühzeitig an die Börse musste, immer hagelte es Kritik der
Opposition und der Gewerkschaft. Gestreikt wurde bisher
nie. Und Wurm legt schon
jetzt eines drauf, weil er weiß,
dass vom Kanzler abwärts alle
entschlossen sind, den Postbus an die ÖBB zu verkaufen
und danach die privaten Dr.
Richards und Blagusse des
Landes zu einem Drittel zu beteiligen. Wurm will die deutsche und französische Streikkultur importieren und kündigt einen heißen Herbst an.
Vorbereitung auf den Herbst
Die Sommerpause wolle er
nutzen, um die Organisation
von Großstreiks in anderen
Ländern zu studieren. Der erste Streiktag der Firmengeschichte am 29. Mai freute vor
allem Hunderttausende
Schüler, die entschuldigt dem
Unterricht fernbleiben konnten. Der Streik am Dienstag
und Mittwoch soll der zweite
Probegalopp sein. Die Streiks
im Herbst würden prinzipiell
so lange dauern, bis die Busprivatisierung abgeblasen ist.
120.000 Fahrgäste hätten unterschrieben: "Lieber zwei Tage keinen Postbus als überhaupt keinen mehr."
Arbeitsplatzgarantie
Ziel sind zumindest Verhandlungen mit den Eigentümervertretern von Postbus
und ÖBB, Finanzminister
Karl-Heinz Grasser und Verkehrsminister Mathias Reichhold. Wurm fordert zwar offiziell eine Arbeitsplatzgarantie
bis 2007, doch auch er weiß,
wie unrealistisch dies ist. In
den letzten acht Jahren wurde
bei nahezu gleicher Leistung von rund 80 Millionen Fahrkilometern im Jahr die Zahl
der Beschäftigten auf 3000
halbiert. Und noch immer
schreibt der Postbus einen Betriebsverlust von 11,7 Mio.
Euro. Außerdem sind 70 Prozent der Postbus-Beschäftigten Beamte, für die kein Versetzungsschutz, aber ein
Kündigungsschutz gilt.
Wirtschaftlichkeitsargumente
Die Regierung kontert mit
Wirtschaftlichkeitsargumenten. Durch die Zusammenführung von Post- und Bahnbus
ergeben sich Einsparungen
von 37 Mio. Euro, sagte Reichhold. Ein "Rosinenpicken" der
privaten Betreiber werde es
nicht geben, sie müssten auch
defizitäre Linien übernehmen. Die Hereinnahme von
Privaten sei kartellrechtlich
nötig, da Post- und Bahnbus
zusammen auf einen zu großen Marktanteil kämen. Und
letztlich würde auf diese Weise ein Ausverkauf ans Ausland verhindert.
FPÖ-Generalsekretär Karl
Schweitzer schoss sich am
Montag auf die vermeintlich
parteipolitischen Interessen
Wurms ein. Schweitzer zitierte einen Brief Wurms, nebst
anderen an SP-Chef Alfred
Gusenbauer und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, in
dem es heißt: "Da uns beim
Oppositionskampf schön
langsam die Luft ausgeht, ersuche ich doch, wenn es euch
möglich ist, uns medial zu unterstützen."
Postbus-Chefin zwischen den Fronten
Zwischen die Fronten ist
Postbus-Chefin Wilhelmine
Goldmann geraten. Sie lehnt
die Streiks ab, sie kosteten
700.000 Euro täglich. Doch
Verständnis für die Sorgen der
Mitarbeiter habe sie. Das
Bahnpostbus-Konzept sei wenig durchdacht. Es bestehe die
Gefahr, dass die ländlichen
Regionen nicht mehr ausreichend bedient werden. 700
Gemeinden würden nur vom
Postbus angesteuert. (Michael Bachner, DER STANDARD, Printausgabe 25.6.2002)