Das Speiseeis, diese willkommene Bereicherung der leichten Kulinarik in den Sommermonaten, hat eine mittlerweile über 5000-jährige Geschichte, die sich die längste Zeit vor allem in coolen Aristokratenkreisen abspielte. Das Eis am Stiel, heute eine der beliebtesten Speiseeisarten, ist vergleichsweise jugendlich und grob gesprochen etwa ein halbes Jahrhundert alt. Es stellt sozusagen die demokratische Spielart des Gefrorenen dar, und der wird dieser heißen Tage von Groß und Klein beißend, schleckend, sabbernd und lutschend gehuldigt.

Die Schleckerauswahl im Tiefkühlregal ist so groß wie nie zuvor. Dank der verschiedensten Eigenmarken großer Supermarktketten wird die Eiskundschaft alljährlich mit neuen Eispersönlichkeiten verwöhnt, mit Starlets und anderen Verlockungen wird versucht, den bekannten alten Damen und Herren, also den gut eingeführten Sub-Brands von Herstellern wie Eskimo oder Schöller, heftig Konkurrenz am heiß umfochtenen Markt zu machen.

Der Eisschlecker ist dabei beileibe nicht nur die kleine erfrischende Leckerei zwischendurch, eine verwechselbare Süßigkeit ohne starken Charakter. Er ist vielmehr dank vielfältigen Designs und Outfits eine Art Identifikationsprodukt, ein die Schleckergemeinde in verschiedene Fraktionen teilendes Element des Sommers, und er ist ein süßes kleines Transportmittel für Kindheitsnostalgien aller Art. Schon in den 70er-Jahren gab es zum Beispiel die fast verfeindeten Anhängerschaften von Twinni gegen Jolly, von Paiper gegen Orange, von Brickerl gegen Spezi, und alle diese kühlen Kerle verlangen ihren Konsumenten ganz spezifische Schlecksysteme ab.

Wie, zum Beispiel, bekommt der Jolly-Lutscher die Schokohülle von der Kappe, ohne erstens zu bröckeln und zweitens die darunter liegenden Eisschichten zu zerbeißen? Wie lässt sich die orange Hälfte des Twinni ohne Verstümmelung eines der beiden Eiszwillinge von der grünen trennen? Und vor allem: Welche Hälfte isst man zuerst? Die, die einem besonders gut schmeckt, oder wird die besser zur Steigerung der Freude noch aufgespart? Die Antwort auf all diese Fragen lautet: unermüdliches Üben.

Eigentlich üben wir ja seit unserer Kindheit, und genau das, dieses Gedenken einer kindlich intensiven Genüsslichkeit in den heißen Feriensommern der 70er-Jahre, ist wahrscheinlich der wichtigste Schlüssel zum Langzeiterfolg von Jolly und Twinni, und es führte vor ein paar Jahren auch zu einer von den sich verbündenden Konsumenten via Petition geforderten Paiper-Wiedereinführung.

Der Paiper war in den 70er-Jahren erfunden und später wieder vom Markt genommen worden: ein mit Kunststoff zylindrisch umhülltes Eisstangerl, das der Schleckende mittels eines Stieles zylinderkolbenartig auf und ab gleiten lassen kann. Seine Wiedergeburt wurde von der lange gedarbt habenden Fangemeinde enthusiastisch begrüßt, der extravagante Schlecker ist heute nach wie vor in den Kühlregalen zu haben. Leider nur Zitrone-Himbeer. Die Pistazie-Schoko-Fraktion wurde übergangen. Sehr schmerzlich.

Als vor drei Jahren übrigens im Rahmen eines Festes die Paiper-Wiederbeschaffungspetition an Eskimo-Iglo übergeben wurde, erinnert sich Verkaufschef Rainer Herrmann, geschah das nicht ohne flehend-drohende Untertöne: "Es hieß damals: Wenn ihr für den Paiper den Twinni oder den Jolly vom Markt nehmt, dann gibt es echt Krieg."

Davon kann natürlich keine Rede sein. Im Gegenteil. Der Nostalgie wird weiter gehuldigt, und zwar ausgesprochen erfolgreich. Mit dem Cornetto Soft, einem Eis, das man aus einer Maschine in ein Stanitzel presst, werden herrliche Erinnerungen an kleine, längst untergegangene Konditoreien wach, wo Eismaschinen standen, mit runden Guckfensterchen, die verrieten, welche Eissorten an diesem Tag dran waren. Eismaschinen, die von freundlichen Menschen bedient wurden, und die samtig weiche Eismassen in faszinierenden Kringeln auf die Stanitzel drapierten. Wenn man schon nicht wieder Kind werden kann: Wenigstens das Eis soll jung bleiben, und so wie damals. (Ute Woltron/DER STANDARD/rondo/21/6/02)