Die Parlamentswahlen vom Wochenende haben in Tschechien zu einem Linksruck geführt. Obwohl die bisher regierenden Sozialdemokraten (CSSD) unter leichten Einbußen mit 30,2 Prozent stimmenstärkste Partei geblieben sind, kann sich vor allem die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) als die eigentliche Siegerin dieses Urnengangs fühlen. Die Kommunisten erreichten 18,5 Prozent der Stimmen und konnten als einzige Partei sowohl an Mandaten als auch Stimmen (plus 7,5 Prozent) zulegen.Zu den eindeutigen Verlierern gehören indessen die rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) mit 24,5 Prozent und das Parteienbündnis aus Christdemokraten und Freiheitsunion (14,3 Prozent), die beide weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurückgeblieben sind. Die Wahlbeteiligung sank mit 58 Prozent auf ein Rekordtief. Bei den Wahlen 1998 waren es noch 74 Prozent gewesen. Schon bei den ersten Prognosen, die am Samstag kurz nach Schließung der Wahllokale um 14 Uhr veröffentlicht wurden, herrschte vor allem in der ODS-Parteizentrale auf der Prager Kleinseite betroffene Stille. Entgegen allen vorher veröffentlichten Umfragen, die von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CSSD und ODS ausgingen, lagen die Bürgerlichen bereits zu diesem Zeitpunkt, als vor allem die Ergebnisse aus kleineren Gemeinden eintrafen, mit vier Prozent im Rückstand. Erst später, wurde das wahre Ausmaß der ODS-Niederlage sichtbar, denn die Bürgerlichen mussten diesmal vor allem in den größeren Städten (ab 80.000 Einwohner), ihren traditionellen Bastionen also, Federn lassen. Von den insgesamt 14 tschechischen Regionen konnten die Bürgerlichen lediglich in Prag und Liberec (Reichenberg) Erfolge feiern. Ein Wechselbad der Gefühle erlebten hingegen die Vertreter der so genannten Koalition. Die ersten Trends sahen das christlich-liberale Bündnis vor den Kommunisten klar auf Rang drei. Im neuen Parlament schien sich eine komfortable Mehrheit für eine Mitte-links-Regierung mit den Sozialdemokraten abzuzeichnen. Im Verlauf des Nachmittags verschlechterten sich jedoch diese Prognosen, und bereits etwa gegen 17 Uhr zogen die Kommunisten an der "Koalition" vorbei - ein Trend, der sich immer mehr verfestigte. Am Abend gab es dann vor allem für eine der beiden Bündnisparteien, die liberale Freiheitsunion (US), eine böse Überraschung, als ihre Spitzenkandidaten (unter ihnen die Vizeparteichefs Ivan Pilip und Petr Mares) in einigen Wahlkreisen den Einzug ins Parlament verpassten. Die Ursache dafür lag vor allem darin, dass die Wähler der Christdemokraten von ihrem Recht Gebrauch machten, zwei Vorzugsstimmen abzugeben, und diese gezielt den Vertretern ihrer eigenen Partei gaben. Schon am Wahlabend ließ CSSD-Chef Vladimír Spidla erkennen, dass er einem Zusammengehen mit der christlich-liberalen "Koalition" den Vorzug geben würde. Diese Allianz würde jedoch im Parlament nur über die Mehrheit einer einzigen Stimme verfügen. Im Falle, dass diese Mitte-links-Regierung zustande kommen würde, hätte der künftige Regierungschef noch ein weiteres Problem: Zwei von den gewählten Abgeordneten der "Koalition" gehören keiner der beiden Parteien an und haben bereits bei ihrer Bestellung verkündet, dass sie sich nicht der Fraktionsdisziplin unterordnen wollten. Eine klare Absage erteilte Spidla hingegen einer möglichen Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Am Sonntagnachmittag hat Präsident Václav Havel nacheinander die Chefs der Sozialdemokraten, der Bürgerlichen und der Koalition zu ersten Konsultationen empfangen. Präsidentensprecher Krafl ließ offen, ob Havel bereits nach Abschluss dieser Beratungen Spidla offiziell mit der Regierungsbildung beauftragen wird. (DER STANDARD, Print, 17.6.2002)