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Ich fische im Trüben. Ich erfahre Geschichten in der Zeitung, beim Bäcker, im Radio. Jetzt verfolge ich zum Beispiel gerade einen interessanten Fall. Es gibt nicht nur die Ratten, die in millionenfacher Ausführung ganz vital in München leben und richtig begeistert sind von unserer Zivilisation. Es gibt in Bayern jetzt auch einen Krieg um den Kormoran. Der Kormoran bedroht unser Land. Er ist von enormer Hinterlist, ja Heimtücke. Es ist die Höhe, wie er sich als Invasor, Migrant, Asylant, fremder Vogel in diese Gesellschaft hereinschleicht, um dann große Beute zu machen. Man hat ihm ein Stillhalteabkommen angeboten, aber was macht er? Er nimmt nicht etwa nur den kleinen Finger, sondern die ganze Hand. Er weiss ganz genau, dass ihm in Naturschutzgebieten nichts passieren kann, und das nutzt er schamlos aus." Paradox, Hintersinn, das für alle Beteiligten, vor allem aber für den ausführenden Künstler selbst quälende Ringen um Worte: Der bayerische Humorist Gerhard Polt, der hier in einem aktuellen Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung die Zeit nutzt, um sozusagen vor Publikum eine neue Geschichte zu entwickeln und damit seine Arbeitsmethode am praktischen Beispiel erläutert, ist dieser Tage 60 Jahre alt geworden. Er hat gerade einen neuen Film abgedreht, den im alten Rom spielenden "Sandalenfilm" Germanikus, der im Herbst in die Kinos kommt - und eine neue CD kann man auch von ihm kaufen. Auf Der unbekannte Valentin kann man Polt im Verein mit seiner künstlerischen Langzeitpartnerin Gisela Schneeberger dabei zuhören, wie er alte Sprachzerpflückungs-Dialoge wie Streit mit schönen Worten nachstellt: "Ich verbitte mir ab heute jede Unzudringlichkeit, sonst werde ich dir den Himmel kalt machen!" Im Gegensatz zum cholerischen Menschenfeind Karl Valentin allerdings, mit dem ein bayerischer Humorist halt wegen der kritischen Abwägung mit dem Einerseits und Andererseits zwangsläufig verglichen werden muss, im Gegensatz zum Übervater, der in den 30-er Jahren einmal in eine Filmszene mit dem unsterblichen Satz "I bin dageg'n!" platzte, obwohl er gar keine Ahnung hatte, um was es gerade ging, im Gegensatz dazu entwickelt Polt seine Themen nicht nur in vertrackten und verzweigten Endlossätzen wie solchen, den sie hier gerade lesen. Der entschiedene Humanist Gerhard Polt, der das Humane eben gerade auch vom Humor ableitet und sich nie klüger geben würde, als die von ihm dargestellten Figuren, dreht die Liebe zum vor allem auch sprachlichen Detail und zur Zersetzungskunst der Alltags-Schwurbelei noch einen Dreh weiter. Wie man jetzt in Polts gesammeltem Werk, dem drei Jahrzehnte umfassenden Circus Maximus anhand einer als tiefbayerische Wortakrobatik verkleideten Alltagssoziologie nachlesen kann, geht es dem "Erforscher von Angelegenheiten" dabei weniger um den theoretischen Überbau eines großen Moralisten, der er nun einmal ist, das aber niemals zugeben würde. Es geht ihm mehr um das Unterholz der Wirtshausstammtische. Die "wortreiche Sprachlosigkeit" des "kleinen Mannes", banale Alltagssituationen, in denen Polt scheinbar selbst tief drinnen steckt, werden dann auf Anfrage mitunter ebenso barsch wie unverbindlich kommentiert: "Ja mei!" Fast wia im richtigen Leben nannte sich demnach auch Polts legendäre Fernsehserie in den 80er-Jahren, in der, wenn schon sonst nichts, so zumindest eines klar wurde: Die Provinz gebiert Monster. Und die Provinz ist überall. Man lese jetzt nur wieder einmal "Klassiker" wie Alles über den Russen, Mai Ling oder Der Weihnachtsneger nach. (Von Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So.,15.6.2002)