Wie eine makabre Auftragsübung wirkt Georg Staudachers Wiener Volkstheater-Aufführung von Thomas Bernhards "Die Jagdgesellschaft": ohne erkennbaren Zugriff auf Bernhards betörende Gedankenmusik, ohne Sinn für wahre Anarchie.Wien - Als der große österreichische Heimat-Dichter Thomas Bernhard Österreich aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte, um es anschließend aus tiefstem Herzen zu verabscheuen, machte er sich daran, auf seinen Untergang lauter sprachsymphonische Abschiedssätze zu komponieren: Trauermusiken, geblasen auf einem verstimmten Jagdhorn. Bernhard, selbst ein lebenslang zu Tode Erkrankter, blies einer absterbenden Gesellschaft noch einmal einschmeichelnd den Untergangs-Blues. Seht her, wie die Schädlinge an der Borke nagen! Wie die Krankheit die inneren Organe zersetzt! Der Klang dieser Lehre vom Sein, das vor aller Augen ein Nichts ist, gehört heute schon ins Arsenal der abgelegten Klänge: dort, wo, zwischen abgeholzten Birken, vielleicht Tschechow ganz verkrochen liegt. Mit Die Jagdgesellschaft verzog sich auch Bernhard 1974 in das letzte, zusammenhängende Waldstück: neunzig mal sechzig Kilometer Grundfläche, darin versteckt ein Jagdhaus, das im Wiener Volkstheater, das sich mit immer kopfloserer Hingabe auf Bernhards Totentrompeten stürzt, ein Wellblechstudio ist. Hinter den Wänden, im Wald, regiert bereits der Borkenkäfer. Hinter Fensterglas steht ein kapitaler Achtender von Hirsch, dessen Geweih vor einer Abendrottapete goldgelb leuchtet (Bühne: Florian Parbs).

In diesem philosophischen Fitnessstudio presst sich die Gemahlin des zu Tode erkrankten Generals (Tatja Seibt), eines lächerlichen, vorerst abwesenden Provinzpotentaten, in das Sofaeck, während ein sie umtanzender "Schriftsteller" vom Habitus eines leitenden Arbeiterkämmerers (Toni Böhm) die zur Kunstfigur Erstarrte mit seinen Wörtern wie mit Schrotkugeln beschießt. Bernhards todbringendes Gedankengift fällt in beschwichtigenden Dosen aus Böhms Mund. Dabei blickt der Herr Autor, im Grunde ein unleidlicher Gast, auf die Dame herunter wie der Habicht auf die Springmaus. Nur springt nichts über: kein Funke, kein Geistesblitz.

Regisseur Georg Staudacher spielt Bernhards grandiosen Funeralkitsch sozusagen vom vergilbenden Blatt. Man darf sich lebhaft vorstellen, wie die Generalin in ihrem Hosenanzug dem Dichter nächtens, im Sherry-Rausch, knisternd begegnet. Dabei hätte Böhm, der große Volksschauspieler, das Zeug zum Tartuffe: ein gewissenloser Parasit, unter dessen Verleumdungen sich die Körper der Gastgeber wie die Dachbalken biegen.

Saure Erbauung

Staudacher musiziert das Totenfest lieber als milchsaure Erbauungsstunde. Der Herr General (Oswald Fuchs) ist das korpulente Baby mit dem hohen, vom Kippen bedrohten Angstorgan. Seine bedrohlichen Ausfälle gegen den Dichter atmen die Dämonie eines Kindergeburtstags.

Das abschließende Totenmahl würzt der Regisseur vorsorglich mit Klamauk; Bernhards immer bedrohlicher musiziertes Adagio, diese die Lügen schichtweise abtragende Gedankenmusik, zerflattert im Nu. In der Erstarrung der Tafelrunde heult die todbringende Motorsäge auf.

Böhm, der Todesengel, erzählt die Handlung seiner neuen Komödie, die von einem zu Tode erkrankten General handelt und von einem Wald, in dem der Borkenkäfer haust und der geschlägert werden muss. Vielleicht, dass man nun das wahre Stück Die Jagdgesellschaft zu Gesicht bekäme. Vielleicht von einem Regisseur nacherzählt, der zu Bernhards ermattendem Marsch keine Einfälle mit dem Einfaltspinsel hinkleckst. Stattdessen heben ein paar Arbeiter das Lärchenholz von der Bühne. Die Kreissäge heult. An das, was Bernhard einmal für die Nichtkonformisten in diesem Lande bedeutet haben mag, kann sich niemand mehr erinnern. (DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.6.2002)