Washington - Die US-Regierung legt nun große Eile beim Aufbau ihres Raketenabwehrsystems an den Tag: Nachdem der Vertrag zwischen den USA und Russland über eine Begrenzung strategischer Abwehrsysteme (ABM) nach einer sechsmonatigen Kündigungsfrist vergangenen Donnerstag auslief, will die Regierung noch heute, Samstag, in Fort Greely in Alaska mit dem Bau von sechs unterirdischen Raketensilos beginnen; eine solche Anlage wäre unter den Bestimmungen des ABM-Vertrags verboten gewesen.
Die US-Armee führte zugleich im Pazifik einen weiteren, erfolgreichen Test für den geplanten Raketenschild durch. Eine Abfangrakete, die von der USS Lake Erie abgefeuert wurde, traf in 160 Kilometer Höhe eine zweite Rakete mit einer Sprengkopfattrappe, die acht Minuten zuvor von einem Testzentrum auf der Hawaii-Insel Kauai gestartet worden war.
Die Finanzierung des Abwehrsystems, für das US-Präsident George W. Bush im nächsten Jahr 7,8 Milliarden Dollar (8,3 Mrd. Euro) einplanen ließ, bleibt weiter zwischen Regierung und Senat umstritten. Bush werde sein Veto gegen eine Kürzung des Verteidigungsbudgets einlegen, drohte Pentagon-Chef Donald Rumsfeld. Russland reagierte indes gelassen auf das Ende des ABM-Vertrags. Russland suche nicht nach Gegenmaßnahmen, sagte Verteidigungsminister Sergej Iwanow.
Russisches Unterhaus: "Schwerer politischer Fehler"
Das russische Parlament hat die einseitige
Aufkündigung des ABM-Abrüstungsvertrages durch die USA als "schweren
politischen Fehler" kritisiert. Das Unterhaus verabschiedete am
Freitag in Moskau bei nur einer Enthaltung eine Erklärung, nach der
der US-Rückzug vom ABM-Vertrag von 1972 der internationalen
Sicherheit "einen schweren Rückschlag" versetzen werde. Die russische
Regierung müsse nun "zusätzliche Maßnahmen" für die Sicherheit des
Landes ergreifen.
Der Rückzug der Vereinigten Staaten vom ABM-Vertrag war am
Donnerstag wirksam geworden. Die USA hatten das Abkommen am 13.
Dezember aufgekündigt, um ihr geplantes Raketenabwehrsystem
voranzutreiben. Als Reaktion auf die Aufkündigung des ABM-Vertrags
durch die USA erklärte Russland das START-II-Abkommen über nukleare
Abrüstung am Freitag für hinfällig.
(APA/Reuters, red, DER STANDARD, 15-6-2002)