Brüssel/Wien - Franz Fischler wurde vor kurzem sehr deutlich. Der Kommissar, einer der mächtigsten Männer der Europäischen Union und eine gewichtige bürgerliche Stimme in Österreich verlangte von der FPÖ klipp und klar den Nachweis der Regierungsfähigkeit. Andere ÖVP-Granden äußerten sich ähnlich.Bundeskanzler Wolfgang Schüssel selbst redete am Mittwoch Klartext. In einem Interview mit der Financial Times wandte er sich scharf gegen Kritiker der EU-Erweiterung. Schüssel weist die Behauptung "weit rechts stehender" Parteiführer, wobei FPÖ-Altparteiobmann Jörg Haider ausdrücklich genannt wird, zurück, wonach die für 2004 geplante Erweiterung der Union von derzeit 15 auf 25 Staaten zu unkontrollierter Immigration führen könnte. Gerade für Österreich, das Grenzen mit vier Kandidatenländern habe, sei die Erweiterung wichtig. "Es ist nicht mein Ehrgeiz der Wachhund der Festung Europa zu werden", wird der Kanzler zitiert. Die klaren Worte der ÖVP- Granden in Richtung FPÖ haben einen handfesten Hintergrund. Österreich muss sich auf alle Fälle vor den für Herbst 2003 geplanten Nationalratswahlen zur Erweiterung positionieren. Dies selbst wenn das Szenario eintritt, das derzeit in der EU-Hauptstadt Brüssel als immer wahrscheinlicher gehandelt wird: Einer Verschiebung des Abschlusses der Beitrittsverhandlungen um zwei bis drei Monate. Die FPÖ, die sich immer deutlicher als Erweiterungsgegnerin positioniert, wird dennoch vor den Wahlen Farbe bekennen müssen. Da nur um wenige Monate verschoben wird, muss Außenministerin Benita Ferrero- Waldner spätestens im Frühjahr 2003 von Bundespräsident Thomas Klestil um "Einholung der Unterzeichnungsvollmacht" unter den Beitrittsvertrag ansuchen. Für die "Unterzeichungsvollmacht" braucht die Ministerin laut Art. 67 Bundesverfassungsgesetz aber einen Beschluss des Ministerrats, der auf alle Fälle einstimmig - und somit auch mit den Stimmen der FPÖ erfolgen muss. Geschieht dies nicht, würde über den Umweg des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat der gesamte Beitrittsprozess von Wien aus blockiert. Ein Szenario, das sich die ÖVP politisch kaum leisten will und das mit großer Wahrscheinlichkeit zu vorgezogenen Neuwahlen führen würde. "Die Erweiterung ist das größte politische Projekt seit 1945. Es geht um die Einigung Europas. Das ist sicherlich wichtiger als die Frage, ob Schüssel um ein paar Monate früher oder später wählen lassen will", kommentiert SPÖ- Chef Alfred Gusenbauer das mögliche Szenario.(Der STANDARD, Printausgabe, 13.6.2002)