Im zweiten Durchgang der französischen Parlamentswahlen kommt es am Sonntag in den allermeisten Wahlkreisen zu einem reinen Rechts- Links-Duell. Nachdem 52 - vorwiegend bürgerliche - Kandidaten schon im ersten Wahlgang gewählt worden sind, gibt es noch in 519 Wahlkreisen eine Stichwahl. In 469 Fällen stehen einander Kandidaten der Sozialistischen Partei und der konservativen "Union für die Präsidentenmehrheit" (UMP) von Staatschef Jacques Chirac gegenüber. Mithilfe des Mehrheitswahlrechts kehrt Frankreich damit wieder zu einem klassischen Zweiparteiensystem zurück - wobei die Rechte haushohe Favoritin ist. Die UMP-Kandidaten könnten in der 577-köpfigen Nationalversammlung sogar allein die absolute Mehrheit erreichen; der neue UMP-Verbund aus Gaullisten, Liberalen und einem Teil der Zentrumsdemokraten wäre damit nicht einmal mehr auf die proeuropäische Partnerin "Union für die französische Demokratie" (UDF) angewiesen. Auf der Linken haben sich fast nur Vertreter des Parti Socialiste in die Entscheidungsrunde gerettet. Die Grünen haben bloß bei Bordeaux eine reelle Wahlchance in der Person ihres Präsidentschaftskandidaten Noel Mamère. Die Kommunisten, die am vergangenen Sonntag mit weniger als fünf Prozent Stimmen eine neue "historische" Schlappe erlitten, bangen erstmals um die Fraktionsstärke von 20 Abgeordneten. Sie brächten es kaum über sich, ein bloßes Fraktionsanhängsel der Sozialisten zu spielen. Deshalb mobilisieren sie nun in ihren letzten Bastionen verzweifelt. Und im Departement Seine-St. Denis im Pariser Vorortsgürtel betteln sie um einen Rückzug der sozialistischen Kandidatin, die es zusammen mit dem bisherigen KP-Deputierten allein in die Stichwahl schaffte und die die alte Arbeiterhochburg erobern könnte. Ohne Gefahr von Seiten des Front National (FN) wollen die Sozialisten aber nicht verzichten. Der Front National provoziert nur in neun Fällen eine so genannte "triangulaire", das heißt eine Dreieckswahl zwischen bürgerlichen, linken und rechtsextremen Kandidaten. In diesen höchst symbolischen Wahlkreisen gehen die politischen Wogen hoch. In der Stadt Orange (Provence) hat sich der sozialistische Bewerber zugunsten des UMP-Kandidaten zurückgezogen, damit der FN-Bürgermeister Jacques Bompard nicht gewählt wird. Die Bürgerlichen weigern sich aber, in zwei Provence-Wahlkreisen zugunsten der Linken zu verzichten, um die Wahlchancen zweier FN-Kandidaten, unter ihnen der designierte Le-Pen- Nachfolger Bruno Gollnisch, zunichte zu machen. Die Sozialisten unterstellen der Rechten umgekehrt, sie akzeptiere die Stimmen des Front National und biedere sich damit der extremen Rechten an. Der bis nach Paris ausgetragene Streit um diese südlichen Wahlkreise zeigt, wie präsent die Rechtsextremen auch ohne Parlamentssitze bleiben. Und er gibt einen Vorgeschmack auf die erwarteten Regierungsentscheide in Sicherheits- und Immigrationsfragen: Dabei wirft die Linke den Bürgerlichen bereits Anbiederung an FN-Thesen vor; die Rechte wertet ihre geplanten Maßnahmen hingegen als Schutzschild gegen weitere Wahlerfolge Le Pens.(Der STANDARD, Printausgabe, 13.6.2002)