Wettbewerbskommissar Mario Monti bezeichnet den Lombardclub der heimischen Banken als "eines der schockierendsten Kartelle, das die Kommission je aufgedeckt hat". Was dem EU-Kommissar schlicht die Fassung raubt, war in Österreich über Jahrzehnte bis zum EU-Beitritt 1995 nicht einmal rechtswidrig, sondern gängige Praxis, die kaum jemanden aufregte."Ob es auch zu einer Senkung des Eckzinssatzes kommt, darüber soll im Lombardclub verhandelt werden", meldete der STANDARD am 2. Juni 1993. "Den letzten Feinschliff soll das Zins-Paket am kommenden Mittwoch erhalten, wenn sich die Bankenchefs im Lombardclub treffen", vermeldete die Presse am 3. Juli 1993. Meldungen wie diese waren keine Seltenheit, sondern üblicher Bestandteil der Wirtschaftsseiten. Im Österreich der 90er-Jahre war es kaum der Rede wert, wenn sich die Chefs von konkurrierenden Geldinstituten trafen, um beim Mittagessen ein wenig über die Konditionen zu tratschen. Neben dem Bankenkartell gab es ja noch ein Bierkartell, ein Zementkartell - und kein Mensch rümpfte die Nase. Weder den Politikern noch den Medien oder gar den betreffenden Managern kam die Idee, dass hinter diesen Absprachen der Wettbewerb doch ein wenig zu kurz kommen könnte. Wenn Monti nun von schockierenden Zuständen spricht, so ist das auch ein Urteil über eine Jahrzehnte andauernde Wirtschaftspraxis in Österreich, in dem Bankmitarbeiter oft als "Beamte" tituliert wurden. Und zeigt, wie sehr sich hierzulande seit dem EU-Beitritt das Bewusstsein für wirtschaftliche Vorgänge verändert hat. Denn selbst den beteiligten Bankdirektoren würde es heute wohl seltsam vorkommen, Konditionen gleichsam öffentlich mit den wichtigsten Mitbewerbern zu vereinbaren. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2002)