Die Bildung ist ins Gerede gekommen. Nicht nur wegen der Pisa-Studie, die deut- schen Schulabgängern massive Bildungsmängel nachwies. Je größer diese objektiv werden, desto größer wird paradoxerweise der Erfolg von Büchern, die "Bildung" im Titel tragen. Sie versprechen, alle Bildung in einem Buch zu liefern. So wurde auch Bildung von Dietrich Schwanitz (Eichborn 2001) ein Besteller, obwohl es ein sehr problematisches Buch ist: Schwanitz referiert darin einen Kanon der Hochkultur, ohne Überraschungen: die großen Klassiker.Die Fortbildung im Sommer ist da ganz was anderes, nicht hierarchisch, nicht elitär. Das Problem bei den herkömmlichen Bildungskanons (zuletzt die "zwanzig wichtigsten deutschen Romane", ausgewählt von Marcel Reich-Ranicki) ist nämlich: "Bildung" wird hier leicht so gehandelt wie eine Automarke - als Prestigeobjekt, als Eintrittskarte in ein Bürgertum, das es in dieser Form gar nicht mehr gibt. Gerade weil die gesicherte bürgerliche Lebenshaltung angesichts der Welt- und Ideologiekriege zerfiel, diagnostizierten Intellektuelle wie Robert Musil bereits um 1920 eine "Krise der Bildung". Ein anderes Stichwort wäre: Traditionszerfall. "Bildung hat den Zweck, Tradition zu sichern", meint der bekannte Konstanzer Latinist Manfred Fuhrmann im jüngsten Buch zum Thema (Bildung. Europas kulturelle Identität, Reclam). Aber welche Tradition? Die christlich-humanistische (wer ist noch religiös?), die universale im Sinne Wilhelm von Humboldts, die Bildungsidee der Klassiker? Letztere beruhte auf dem Glauben, dass der Einzelne außerhalb der Zwänge von Beruf und Ökonomie die in ihm liegenden Kräfte entfalten kann, in langsamer Entwicklung: Das war die Idee des "Bildungsromans" im Sinne von Goethes Wilhelm Meister. Aber die Zwänge der Moderne sind stärker. Zeitbezogener wirkt da ein oft verachteter Begriff: "Fortbildung". Hier liegt die Bewegung schon im Begriff. "Fortbildung" zielt nicht nur auf berufliches Fortkommen (Computerkurse etc.). Sie kann auch Bildung in sich aufnehmen, denn jeder neue Kurs zeigt, dass Bisheriges nicht genügt. Im Sommer ist Zeit dafür: "Bildung" ist nie etwas Abgeschlossenes. Es gibt keinen starren Kanon. Nur Bewegung. (rire/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 6. 2002)