Danach rührte der Sender auf massive Weise die Werbetrommel für das "entscheidende" Spiel gegen Uruguay. Zu Matchbeginn legte die Aktie um bis zu 2,3 Prozent zu, als die "Bleus" einige Torchancen herausspielten. Bis die kalte Dusche folgte: Henry erhielt die rote Karte, der Titel sackte um 0,4 Prozent ab; nach dem Abpfiff hatte die Aktie insgesamt 3,3 Prozent gegenüber dem Stand vor Spielbeginn eingebüßt.
Nicht versichert
Noch ist Frankreich nicht ausgeschieden; doch im dritten Gruppenspiel ist ein Sieg mit zwei Toren Vorsprung Bedingung für ein Weiterkommen - und daran glauben auch viele Franzosen nicht mehr. Also geht die Talfahrt des TF1-Titels weiter. Dass die bisher so siegreichen Blauen schon in der "Aufwärmrunde" ausscheiden könnten, hatte TF1 nicht bedacht. Die Investitionen von 66 Mio. Euro (60 Mio. für die Übertragungsrechte, sechs für die Technik) werden nur dann durch die Werbeeinnahmen gedeckt, wenn die Nationalelf mindestens ins Finale vorstößt. In diesem Fall kann TF1 pro halbminütigem Werbespot 220.000 Euro verlangen. Ansonsten sinkt der Tarif für 30 Sekunden auf 100.000 Euro. Auch diese Unwägbarkeit wollte TF1-Chef Patrick Le Lay aus purem Nationalstolz nicht versichern. Das Medienunternehmen schloss Verträge mit 15 eigenen "Sponsoren" und lanciert massenhaft CDs mit dem nationalen Schlachtgesang "Tous Ensemble", Videokassetten, Gesellschaftsspiele. Nach Firmenangaben sollen bis Donnerstag insgesamt bereits 40 Mio. Euro eingespielt sein, und auch der Fehlbetrag von 26 Mio. Euro, so heißt es, werde bei den attraktiven Finalspielen selbst ohne die "Bleus" zurückfließen. Medienexperten bezweifeln die Berechnungen. Sie fragen, ob die von TF1 geschürte Fußballbegeisterung der Franzosen wirklich so groß ist, wie es allgemein heißt. In einem Land, wo Rugby oder die Tour de France fast mehr Interesse wecken als die nationale Fußballmeisterschaft, fußte der französische Sieg an der Fußball-WM 1998 eher auf patriotischen als auf sportlichen Gefühlen.
Bei den etwas wankelmütigen Franzosen ist die Begeisterung für die "Bleus" plötzlich abgekühlt. Ungefähr so stark wie der Aktienkurs von TF1. (Stefan Brändle aus Paris, Der Standard, Printausgabe, 10.06.2002)